Ich habe in meinem Leben an vielen Managementkursen teilgenommen. Dabei habe ich viele interessante Vorträge gehört und spannende Redner kennengelernt. Aber nur ein Vortrag hat mein Verhalten als Manager wirklich nachhaltig verändert.
Der englische Berater und Psychologe Meredith Belbin erklärte uns sein Teamrollenkonzept. Er beschrieb neun verschiedene Teamrollen und behauptete, dass Teams nur dann funktionieren würden, wenn alle Rollen von den Teammitgliedern angemessen ausgefüllt werden könnten. Da gab es etwa den Shaper, mit dem Symbol der Peitsche, der Leute antreibt, Richtung gibt, vorangeht. Oder den Kreativling, der täglich neue Ideen produziert, von denen viele aber nicht zielführend sind. Oder der Monitor/Evaluator, ein guter Analytiker, der gerne mal den Advocatus Diaboli spielt. Oder den Implementer, der tatsächlich auch mal die Arbeit wegschafft. Seine These ist: Ein Team funktioniert nur, wenn alle diese Rollen durch die Teammitglieder besetzbar sind.
Nach Belbins Vortrag haben wir alle ein Self-Assessment mittels eines Fragebogens von Belbin durchgeführt und erhielten danach eine Aussage, was unsere natürlichen Rollen waren und welche Rollen wir zur Not ausfüllen konnten, wenn es im Team dort ein Defizit gab. Und natürlich welche Rollen auf keinen Fall die unseren waren.
Danach wurden wir per Zufallsprinzip in vier Teams aufgeteilt und haben danach über sechs Tage im Wettbewerb ein Wirtschaftssimulationsspiel gespielt. Jedes Team „leitete“ ein Unternehmen, legte jeden Abend fest, wieviel in Produktion oder Forschung investiert werden sollte, wie die Preise und Aufwendungen für Marketing sein sollten etc. Am nächsten Abend bekam man dann aus der Computersimulation die Ergebnisse der unabhängigen Entscheidungen der vier Gruppen.
Unser Kursleiter gab vor dem Spiel nur aufgrund der Kenntnis der Teamzusammensetzung und der Belbin-Assessments im verschlossenen Umschlag einen Tipp über den Zieleinlauf der vier Teams ab. Und seine Prognose war absolut präzise.
Das Looser-Team hatte drei Shaper, die sich fast körperlich vor dem Whiteboard gestritten haben, wer den Stift halten durfte, aber sie hatten keinen Implementer, der mal den Laptop aufklappte und die Modelle durchrechnete. Und von Tag zu Tag sprangen sie zwischen den Strategien der drei Alpha-Tiere hin und her.
Den beiden Teams im Mittelfeld fehlte es entweder an Mut und Führung oder an Kreativität, manchmal auch an dem Monitor/Evaluator, der Ansätze auch mal nüchtern kritisch hinterfragt.
Das Siegerteam war jeden Abend immer eine halbe Stunde vor den anderen fertig und man hörte im Pausenraum mit Kaffee und Snacks immer durch die Tür ihres Arbeitsraums die gute Laune im Team.
Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig geprägt. Ich bin felsenfest überzeugt, dass es in jedem Team – auch hochrangigen Managementteams bis in den Vorstand – wichtig ist, verschiedene Kompetenzen und auch Charaktere dabei zu haben, wenn man nachhaltig Erfolg haben will.
Wenn Managementteams zu homogen besetzt sind, verstärken sie sich nur gegenseitig in ihren Meinungen, sie suchen keine Information von außen und hinterfragen ihre Ansätze nicht mehr. Sie wollen alle die gleichen Aufgaben übernehmen und die gleichen Aufgaben nicht machen. Entweder gibt es dann nur Strategie und Vision und keiner prüft mal, ob es wirklich geht und ob dies Zahlen passen, oder alle schauen nur auf die Spreadsheets und haben keine inhaltlichen Ziele mehr. Die Sozialpsychologie nennt dieses Phänomen „Group Thinking“. Es wurde vor allem aus der Analyse zweier historischer Vorgänge ausgearbeitet: Der Challenger-Katastrophe im amerikanischen Raumfahrtprogramm und der vergeigten Invasion in der Schweinebucht während der Kuba-Krise.
Heute ist Diversity in aller Munde. Alle Unternehmen haben jetzt ihre Programme, um Diversity zu unterstützen und sind für das Thema fully committed. Worum geht es denn da eigentlich?
Nun eigentlich ist Diversity in gewissem Sinne eine Weiterentwicklung des Gleichberechtigungskonzepts. Mitarbeiter sollen unabhängig von Geschlecht, Religion, sexueller Präferenz, Nationalität oder Hautfarbe auf allen Hierarchieebenen vertreten sein.
Neben der Gleichberechtigung wird aber auch davon gesprochen, dass es ja wichtig sei, in allen Entscheidungsgremien auch unterschiedliche Sichtweisen zu integrieren und eine Verschiedenheit von Kompetenzen und Charakteren zu erreichen. Wenn man die meist sehr vorsichtig formulierten Aussagen etwas überspitzt, könnte man sagen, die Hoffnung bei diesem Ansatz ist, dass durch Frauen mehr Empathie und Kommunikationsorientierung, durch Homosexuelle etwas Kreativität etc. in die Unternehmensführung kommt, neben machtgeilen und ergebnisorientierten Machos, die die Gremien heute manchmal dominieren und dabei die Menschen vergessen.
Das sind offenkundig gewaltige Pakete von Vorurteilen und es wundert mich, dass man sich heute überhaupt noch traut, solche Vorurteile auch nur anzudeuten. Aber diese Diversity führt nur sehr bedingt zu der oben beschriebenen Verschiedenheit von Kompetenzen und Charakteren. Denn Sie können leicht einen im Sinne des Diversity-Konzepts wunderbar diversen Vorstand zusammenstellen, mit einer bunten Mischung von Männern, Frauen und Diversen, Schwarzen, Weißen, Gelben, Christen, Muslims und Buddhisten, Schwulen, Lesben und Heteros – die alle machtgeile Egomanen sind, ohne jegliche Empathie für ihre Mitarbeiter, denen Umweltbewusstsein und soziales Handeln vollkommen schnuppe ist.
Für das Funktionieren von Führungsteams wichtig ist die von mir zu Beginn erläuterte innere Verschiedenheit und nicht die äußere Diversität. Das Schlimme ist, dass gegenwärtige Führungspraxis wie auch viele Personalinstrumente dieser Verschiedenheit entgegenwirken. Ein Vorstandsvorsitzender eines DAX-Unternehmens sagte mir einmal:“ Ein guter Vorstand klont sich selbst!“ Und das hat er dann auch tatsächlich gemacht. Und all die vielen Assessment-Center für Führungskräfte haben natürlich auch die Tendenz, nur einen bestimmten Typus von Menschen durch diesen Filter durchzulassen. Diese Selektionsmechanismen wirken alle vereinheitlichend und standardisierend. Sie verhindern eher, dass Verschiedenheit in unseren Entscheidungsgremien Einzug hält, als dass sie es unterstützen.
Wenn es in Ihrem Unternehmen solche formalisierten Selektionsmechanismen gibt, dann machen Sie doch mal folgenden Lackmustest: Nehmen Sie mal irgendeinen von den großen Start-up Gründern von dem Sie meinen, ein bisschen darüber zu wissen, wie er führt, mit Mitarbeitern umgeht etc. Zur Auswahl stehen beispielsweise Jobs, Gates, Zuckerberg, Musk, Plattner, Samwer. Stellen Sie sich vor, dieser Mensch wäre in Ihr Assessmentcenter gekommen. Glauben Sie, er wäre durchgekommen?
Aber es sind ja nicht nur Management und Personalsysteme, die eine gewisse Typenkonvergenz erzwingen, sondern auch die Mitarbeiter in den Teams selbst, die manche Typen sehr stark abstoßen.
Lassen Sie uns ein paar Beispiele anschauen.
Wenn Sie ein Team von Machern haben, die gerne schwierige und ehrgeizige Projekte machen, dann hat es ein Advocatus Diaboli in dieser Runde schwer. Aber es braucht so jemanden als Gegengewicht, der auch mal die kritischen Fragen stellt und ein Projekt, das schiefläuft, rechtzeitig in Frage stellt.
Oder ich habe einmal eine Fakultät an einer Uni kennengelernt, die in ihren Reihen einige ganz hervorragende Wissenschaftler hatte. Ein Mensch an der Fakultät aber hatte eine unglaubliche Begabung, Inhalte zu vermitteln, Interesse bei Politik und Wirtschaft zu wecken, hat sehr viel Mittel für die Fakultät an Land gezogen. Aber seine Kollegen haben ihn nicht gefeiert und ihm gedankt, sondern ihn misstrauisch und ein bisschen verächtlich beäugt, denn er war ja kein richtiger Forscher.
Oder nehmen Sie den Typen in Ihrem Managementteam, der dafür sorgt, dass die Zahlen stimmen, dass Unterlagen für die Steuerprüfung zehn Jahre auffindbar sind, dass sie den Compliance-Audit überleben, dass die Lizenzen für alle Software, die Sie verwenden, da sind. Den liebt auch keiner so ganz richtig, aber Sie brauchen ihn im Team.
Und das ist bei dem Thema Verschiedenheit vielleicht am Ende das größte Problem: Die Teammitglieder müssen nicht nur den Respekt und die Akzeptanz für ganz andere Kompetenzen, aber auch Verhaltensweisen des anderen aufbringen, sondern wirklich lernen, diese sogar wertzuschätzen. Im Fußball gelingt das manchmal, aber in komplexen Organisationen von Wissensarbeitern ist es deutlich schwieriger. Und es ist wesentlich schwerer auszumachen, ob jemand einfach eine andere Rolle hat oder nur faul ist.
Eine Rolle von Belbin, mit der ich mich lange schwer getan habe, weil ich sie nicht wirklich verstand, war die des Ressource Investigators. Dies ist jemand, der sehr vernetzt ist, viele Leute kennt, immer auf der Suche nach neuen Werkzeugen, Lösungen ist, immer einen kennt, der einen kennt, der weiß oder hat, was man gerade braucht. Bis ich dann so jemanden mal in Aktion erlebt habe. Bei IBM sollten wir Anfang der 90er eine Demo für den IBM Stand auf der CeBIT vorbereiten. Dafür brauchten wir aber eigentlich die neueste PC-Hardware. Wegen aktueller Sparprogramme gab es die aber nicht für interne Projekte. Wir diskutierten also in einer Runde die Architektur unserer Demo, aber immer wieder bemerkte dann jemand: „Das wird ja sowieso nichts, weil wir die Hardware nicht kriegen.“ Bis dann ein Kollege aufstand und mit der Bemerkung den Raum verlies: „Macht mal weiter, ich schau mal.“ Wir haben ihm wütend nachgerufen: „Die Hardware gibt es intern nicht!“ Aber nach zwei Stunden kam er zurück und sagte: „Kommt morgen.“ Ich habe nie rausbekommen, woher die Maschine kam, aber sie war am nächsten Tag da. Die Demo wurde ein Erfolg und am Ende hatten meine Techniker Probleme, den entscheidenden Beitrag dieses Ressource Investigators anzuerkennen.
Ich bin jedenfalls fest überzeugt, dass mein Team nie erfolgreich gewesen wäre, wenn alle so wären wie ich. Es wäre sicher lustig und intellektuell anregend gewesen. Wir hätten schöne Strategien und wohl auch Architekturen gehabt, aber wir hätten nichts gebacken gekriegt. Denn mindestens drei von Belbins Rollen – den Implementer, den Completer/Finisher und den Ressource Investigator – kann ich nicht.
Deshalb sorgen Sie für die notwendige Verschiedenheit. Wenn Ihnen die Diversity Programme dabei helfen, benutzen Sie diese Programme. Aber verwechseln Sie die beiden Themen nicht und unterliegen Sie nicht dem Fehlschluss, dass ein diverses Managementteam schon automatisch ein in Lösungsstrategien, Projektvorgehen, sozialen Verhaltensweisen etc. verschiedenes Team ist. Und dann bemühen Sie sich darum, dass sich die verschiedenen Teammitglieder in ihrer Verschiedenheit wertschätzen. Seien Sie dabei wertschätzend, verständnisvoll – aber unnachgiebig.
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Rainer Janßen | 05.01.2023