Bonus. Das heißt gut, meint dazu der Lateiner. Im Wirtschaftsleben bezeichnet man damit irgendwelche Sonderleistungen wie einen Rabatt oder eine Sondergabe bei Abschluss eines Vertrags, vor allem aber meint man damit verschiedene Zahlungen an den Mitarbeiter, die er neben dem monatlichen regelmäßigem Grundgehalt bekommt bzw. bekommen kann. Anders als das Grundgehalt variieren diese Leistungen und hängen von unterschiedlichen Parametern wie der individuellen Leistung, dem Erfolg des Unternehmens im Geschäftsjahr, dem Verlauf des Aktienkurses oder der Gnade des Patriarchen und Firmeneigentümern ab.
Generell sollen Boni die Motivation des Mitarbeiters stärken, sich für das Unternehmen einzusetzen. Diese Wirkung verflacht aber sehr schnell. Die Sozialpsychologie hat dies in vielen Experimenten nachgewiesen. Wenn man etwa drei Jahre lang den Bonus bekommt, wird er als zu erwartender, mir zustehender, wenn auch unregelmäßig gezahlter Gehaltsteil gewertet. Wird er irgendwann einmal nicht gezahlt, wird dies eher als Malus denn als nichtgezahlter Bonus empfunden. Und wenn wir mal ehrlich sind, beruhen viele Bonussysteme auch auf dem im Management weit verbreiteten Menschenbild, dass der Mitarbeiter an sich eher ein faules Wesen ist, das versucht, mit minimalem Einsatz den Berufsalltag zu überstehen. Deshalb scheint es vielen angeraten, dem Mitarbeiter erst einmal einen gewissen Teil seines Jahresgehaltes vorzuenthalten und erst dann auszuzahlen, wenn die gewünschte Leistung und das Arbeitsergebnis auch tatsächlich vorlagen.
Der vielleicht einfachste Bonus wird abhängig vom Geschäftserfolg des Unternehmens gezahlt: Wenn das Unternehmen in einem Jahr viel Geld verdient, erhält der Mitarbeiter, meist abhängig von der Höhe des eigenen Gehaltes und von der Höhe des Unternehmensgewinns, einen Bonus. Das Unternehmen profitiert, weil es in schlechten Jahren geringere Kosten hat, der Mitarbeiter profitiert auch, wenn es dem Unternehmen gut geht und ist damit stärker am Erfolg des Unternehmens interessiert. Das Gehalt des Mitarbeiters ist zu einem gewissen Teil variabel und schwankt mit dem Unternehmenserfolg. Dies ist in der Regel ein relativ unproblematischer Deal, der nur dann schwierig wird, wenn das Unternehmen oder die ganze Branche in eine längere, nicht hausgemachte Krise stürzt oder der Vorstand das Unternehmen auf Grund einer strategischen Fehlentscheidung in ein Tal der Tränen führt.
Statt vom Unternehmenserfolg, also dem Jahresgewinn, werden auch Boni in Abhängigkeit vom Aktienkurs konstruiert, denn letztlich soll man ja den Wert des Unternehmens für den Aktionär stärken. Da muss man sich aber oft fragen, ob denn der Aktienkurs wirklich durch das Verhalten des Unternehmens selbst – und seiner Mitarbeiter – beeinflusst wurde oder ob nicht äußere Einflüsse den Kurs nach oben oder unten treiben.
Unproblematisch und in ihrer Wirkung wirklich nur positiv sind die eher patriarchalisch vergebenen Boni. Da wird eben einfach einem Mitarbeiter, der ein besonders hartes Projekt erfolgreich umgesetzt hat oder ein neues Produkt erfunden und in den Markt gebracht hat einfach ein Bonus ausgezahlt für seine Verdienste. Eine sehr leichtgewichtige Variante fand ich besonders praktisch, das „Dinner for Two“ Ticket. Dies war ein Gutschein gegen den ein Bewirtungsbeleg bis zu einer gewissen Höhe erstattet wurde. Es wurde durch den Titel angeregt, den Partner mit einzuladen. So konnte besonderer Einsatz in einer kritischen Projektsituation sehr unmittelbar – der Bereichsleiter hatte für das Jahr ein Kontingent solcher Gutscheine im Schreibtisch – gewürdigt werden und auch der Partner fühlte seinen Verlust – etwa durch Überstunden oder Wochenendarbeiten des Mitarbeiters – durch das Unternehmen gewürdigt. Auf jeden Fall erzielte dieser Gutschein viel positivere Wirkung, als wenn der gleiche Betrag mit dem Gehalt überwiesen worden wäre.
Diese beiden Boni haben natürlich den Nachteil, dass ihr Vergabeverfahren ein wenig intransparent ist. Es wird deshalb immer eine Gerechtigkeitslücke vermutet und den Betriebsrat ärgert, dass er nicht mitreden kann. Das Management und die Personalabteilung stört, dass der Bonus nur on top ist, dass nicht an anderer Stelle schwächeren Mitarbeitern dafür etwas weniger Lohn gezahlt wird. Deshalb wurde immer öfter der individuelle Leistungsbonus für alle Mitarbeiter eingeführt. Mit jedem Mitarbeiter wurden individuelle Leistungsziele vereinbart und je nach Erreichungsgrad der vorher festgelegte Bonus ausgezahlt.
Es ist gerade diese Art von Bonus, die viele Art von Problemen in Unternehmen verursacht, zu vielen Fehlsteuerungen geführt hat und mit erheblichem Aufwand zu ihrer Durchführung und ihrem Controlling verbunden ist. Dabei liegt der Ursprung all dieser Fehler schon in der Begründung für diesen Bonus. Es wird zwar viel davon gesprochen, dass gerade die leistungsstarken Mitarbeiter einen Anreiz für ihre Leistung bekommen sollen, weil sie dann bei guter Leistung auch mehr verdienen können und Mitarbeiter, die weniger zum Gesamtnutzen beitragen auch weniger Geld bekommen. Dies hat aber seinen Ausgangspunkt in dem grundlegenden Misstrauen vieler Manager gegenüber ihren Mitarbeitern, dass diese tendenziell zur Arbeitsvermeidung neigen und man ihnen deshalb am besten erst einmal einen Teil des Jahresgehalts wegnimmt, den sie nur zurückbekommen, wenn sie ordentlich geleistet haben. Es wird dann zwar insbesondere in Verbindung mit Home-Office und dem Verzicht auf Arbeitszeiterfassung von einem Vertrauensarbeitsmodell gesprochen, aber meist vertraut das Management nur darauf, dass es in die Ziele genug Arbeit verpackt hat, dass mindestens die laut Arbeitsvertrag erforderliche Arbeitszeit zur Erfüllung der Ziele notwendig ist.
Das Konzept hat aber noch andere grundlegende Probleme. So sind in der sich kontinuierlich bewegenden Arbeitswelt von Wissensarbeitern Jahresziele kaum mehr angemessen. Sie haben nicht mehr das stabile, vorhersehbare Arbeitsumfeld, in dem sie das ganze Jahr an den gleichen Zielen arbeiten können. Oft müssen gerade die wertvollsten Wissensarbeiter in unseren Organisationen unterjährig ganz anderen Projekten in nicht vorhergesehenen Krisen, Notfallsituationen, Personalengpässen, Skilldefiziten etc. beispringen. Oder die Prioritäten im Unternehmen ändern sich, wegen externer Einflüsse werden Entwicklungsschwerpunkte verändert usw. In jeder dieser Veränderungen muss ich mit dem Mitarbeiter verhandeln, wieviel seines alten Ziels ich als anerkannt werte, wie nun die neuen Ziele lauten.
Weiter muss ich am Ende des Jahres zu einer gemeinsamen Beurteilung kommen, inwieweit die Ziele erfüllt sind. Meist sind die eigentlichen Ziele, die ich mit dem Mitarbeiter erreichen will, zwar formulierbar, aber sie sind nicht einfach und vor allem unstrittig bewertbar. Also entstand die Neigung im Management, möglichst Ziele zu vergeben, die mit klar messbaren KPIs hinterlegt werden können. Damit delegiert das Management im gewissen Sinne die Leistungsbeurteilung des Mitarbeiters an ein Messsystem, wobei die Messsysteme das Ziel nur so ungefähr abbilden.
Vor allem aber, wie ich versucht habe, Ihnen im Abschnitt über Mogeln nahezubringen, neigen die Menschen nun mal, wenn es um Benotungen geht – insbesondere, wenn sie noch Auswirkungen auf Finanzen oder Karriere haben – zum mogeln. Dazu einmal eine erlebte Realsatire: Anfang Dezember kam der Vertriebler eines IT-Dienstleisters zu mir und fragte: „Herr Janßen, in unserem Projekt ist gerade ein größerer Meilenstein mit 850.000DM fällig. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich die Abrechnung ins nächste Jahr schiebe?“ Er hatte wohl die Ziele für das Jahr erfüllt und wollte die Ziele nicht zu weit übertreffen, um nicht die Ziele für das nächste Jahr nach oben gesetzt zu bekommen. Eine Woche später kam sein Chef, der wahrscheinlich sieben Mitarbeiter hatte, die allen möglichen Umsatz versteckten, und drei tote Pferde, bei denen nichts mehr zu holen war, und sagte: „Herr Janßen, wenn Sie den Kaufvertrag für die Software, die wir gerade untersuchen, jetzt unterschreiben, gebe ich Ihnen 20% Rabatt auf alles, was wir bisher verhandelt haben. Und ich schreibe Ihnen einen Side Letter, dass Sie vom Kaufvertrag zurücktreten können, wenn die Studie im Februar nicht erfolgreich ist.“ Raten Sie mal, was passiert ist?
Alle diese Defizite zusammen verursachen schon allein ganz erhebliche Aufwände in den Verhandlungen zwischen Manager und Mitarbeiter, in den Aufwänden zur Etablierung der Messsysteme und im Controlling ihrer Anwendung. Es ist absolut utopisch, durch diese leistungsorientierte Ziel- und Bonusvergabe so viel mehr Leistung aus den Mitarbeitern herauszuholen, dass es diesen ganzen Overhead wert ist.
Aber der potenzielle Schaden ist ja noch viel, viel größer! Diese Boni werden ja auch auf Managementebene gezahlt und dort sind sie deutlich größer und damit wird auch die Motivation größer, die Welt durch Druck nach unten zum eigenen Nutzen zu gestalten. Dies zerstört einerseits die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationsteilen. In vielen Kundensituationen sind für den letztlichen Erfolg Mitarbeiter aus verschiedenen Funktionen erforderlich, die aber in ihren Messwerten unterschiedlich vom Erfolg beim Kunden profitieren. Wie hoch ist wohl die Motivation eines Bereichsleiters eine ganz kritische Ressource für ein solches Projekt zur Verfügung zu stellen, wenn er davon keinen Nutzen hat? Und was meinen Sie, wie groß der Druck von oben auf die Organisation wird, doch irgendwie „kreative“ Lösungen für die Profitabilitätsziele zu finden? Und was hat das alles mit Autokonzernen zu tun, die mit Abgassystemen tricksen oder mit Technologiekonzernen, die schwarze Kassen für Bestechungsgelder anlegen, oder mit Finanzkonzernen, die Risikoprodukte konstruieren, die zum Beinahezusammenbruch des Finanzsystems führen? Gerade in manchen Bereichen der Finanzindustrie wurden derart obszön hohe individuelle Boni ausgezahlt, dass man sich nicht wundern darf, dass extreme Risiken akzeptiert wurden und auch immer wieder die Grenzen der Legalität überschritten wurden.
Wir wissen es wirklich seit vielen Jahren, dass dieser Weg ein Irrweg ist. Es gibt viele Belege aus der sozialpsychologischen Motivationsforschung, die dagegensprechen. Trotzdem machen die meisten Unternehmen auf diesem Wege unbeirrt weiter. Sie verändern hier eine Stellschraube, passen dort die Parameter an, aber im Großen und Ganzen hört man nur ein couragiertes „weiter so“ oder, wie es ein anonymes Zitat aus einem der Softwarelabore der alten IBM in den 80er Jahren etwas poetischer ausdrückte: „And with amused resignation they ever repeat, what they know will fail!“
Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Wenigstens mein letzter Arbeitsgeber, die MunichRe, hat sich vor einigen Jahren komplett von diesem Gehaltsmodell verabschiedet. Der Individualbonus wurde zu angemessenen Teilen in das Fixgehalt überführt und der Individualbonus für alle Mitarbeiter auf allen Ebenen weltweit gestrichen. Es gibt nur noch Boni – ich sage lieber variable Gehaltsteile – die sich am Gesamterfolg des Unternehmens orientieren.
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Rainer Janßen | 03.02.2023