Digitalisierung und Informatikstrategie: Am Ende entscheidet Software
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Digitalisierung und Informatikstrategie: Am Ende entscheidet Software

Marc Andreessen, der Mitprogrammierer u.a. von Mosaic und Netscape, kann zweifelsohne als einer der Pioniere der Digitalisierung, wie auch immer dieses Wort definiert wird, gesehen werden. Er schrieb 2011 in einem Essay im Wall Street Journal den berühmten Satz: «Software Is Eating The World»*. Diese Aussage ist nach wie vor richtungsweisend für das Verständnis von Digitalisierung im Silicon Valley: Problemstellungen, wie kompliziert und komplex sie auch immer sind, in Software zu überführen. Ergänzen müsste man aus heutiger Sicht, dass in vielen Fällen zusätzlich neue Hardware zu entwickeln ist. Wenn man sich die Anstrengungen im Silicon Valley von Firmen wie Waymo anschaut, ist es offensichtlich: Software steht im Vordergrund. Das entwicklungsleitende Paradigma könnte lauten: Autonomes Fahren ist im Kern ein Problem der Software. Waymo, als ein Beispiel, hat hervorragende Softwareingenieure und kann zumindest die Software für autonome Fahrzeuge bauen.

Was bedeutet diese starke Softwareorientierung für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft im deutschsprachigen Raum?

Ich sehe drei direkte Konsequenzen:

  • Jede Digitalisierungsstrategie, egal ob sie Daten, Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen betrifft, muss man in möglichst konkreten Softwareprojekten realisieren. Es reicht nicht, auf der Ebene der Ideenpapiere oder Konzepte stehen zu bleiben, die Digitalisierungsstrategie muss in konkrete Projekte münden. Diese klare Projekt- und Softwareorientierung kann zu neuen, evolutionären Vorgehensweisen bei der Entwicklung von Informatikstrategien führen, die sich an agilen Methoden und Design Thinking anlehnen.
  • Innovative Software wird heute agil entwickelt, nach einem anderen bekannten Satz, der ebenfalls aus dem Silicon Valley kommt: «Start small and grow». Letztendlich geht es darum, nicht vor dem Start der Programmierung das Endprodukt als Konzept zu beschreiben, sondern ein MVP (Minimum Viable Product) zu programmieren und dieses möglichst rasch dem Markt auszusetzen. Es muss das Ziel sein, neue Ideen nicht auf dem Papier zu diskutieren, sondern schon als Software.
  • Softwarekompetenz ist entscheidend für den Erfolg bei der digitalen Transformation und in der digitalen Welt. Dies ist für Unternehmen, fast unabhängig von der Grösse und Branche, keine gute Nachricht. Softwarekompetenz auf allen hierarchischen Ebenen ist nur in wenigen Unternehmen vorhanden. Teilweise wird die Softwareorientierung als Überformalisierung und mathematische Härte gebrandmarkt und eine «menschliche» oder weiche digitale Transformation gefordert. Die Softwareingenieure aus dem Silicon Valley und China lachen wahrscheinlich nur über diese typisch deutschsprachige Argumentation. Und nur um es der Vollständigkeit halber auch erwähnt zu haben: Der Markt für sehr gute Softwareingenieure ist im deutschsprachigen Raum fast leer. Selbst die Einstiegslöhne sind für die wenigen guten Fachleute, die auf dem Markt sind, auf einem hohen Niveau.

Seit fast 40 Jahren beschäftige ich mich mit der innovativen Nutzung von Informatik in europäischen Unternehmen, vor allem im deutschsprachigen Raum. Ich habe den Einstellungswandel gegenüber der Informatik von einem «notwendigen Übel» in den 70er und 80er Jahren, zu einer «strategischen Notwendigkeit» in den letzten Jahren miterlebt. Ich könnte über offenen und verdeckten Widerstand gegenüber der Informatik unzählige «true stories» erzählen, die mir auch heute nicht viele Menschen glauben würden. Damit muss Schluss sein. Gefordert ist von den Führungskräften ein klares Bekenntnis zur Digitalisierung und damit zur Software mit allen Konsequenzen. Wir müssen aus der Komfortzone heraus, um im Wettbewerb zu bestehen.

Was bedeutet das für CIOs und Informatikstrategien?

Eines ist klar: Software, Software­entwicklung und Softwarekompetenz müssen im Vordergrund stehen. Das führt zwangsläufig zu einer gesteigerten Bedeutung von Informatik-Architekturen. Software darf aber nicht monolithisch angesehen werden. Es gibt viele Spielarten von Software in Unternehmen: Software am Arbeitsplatz, prozessbezogene Software, z.B. als ERP-Systeme, Software zur Interaktion mit Kundinnen und Kunden, Software für Datenanalytik und natürlich Software in oder für Produkte und Dienstleistungen. Vor allem die letztgenannte Software wird in Zukunft für viele Unternehmen wettbewerbsentscheidend sein. Für jede dieser Spielarten von Software gilt es beispielsweise zu entscheiden: «On-premises oder aus der Cloud» und «wettbewerbsrelevant oder commodity». Abhängig von diesen Entscheidungen gilt es, eine Softwarestrategie zu entwickeln und festzulegen, bei der selber programmiert wird. Ich beobachte, dass öfters Eigenentwicklung im eigenen Unternehmen dem Outsourcing vorgezogen wird oder werden muss, entsprechend stark ist die Notwendigkeit, Softwarekompetenz aufzubauen. Nur so am Rande bemerkt: Die verstärkte Nutzung von Künstlicher Intelligenz verschärft die von mir aufgezeigten Herausforderungen. Die Verwendung von Künstlicher Intelligenz mündet am Ende in noch komplexerer Software.

Ich will an dieser Stelle meine Ausführungen abschließen. Auf jeden Fall gibt es viel zu tun. Wenn Sie mit mir diskutieren wollen, schreiben Sie mir einfach: walter.brenner@unisg.ch. Ich erwarte nicht, dass alle mit meinem Text einverstanden sind, deshalb freue ich mich auf die Diskussion mit Ihnen.

Quelle: Andreessen, Marc: Why Software Is Eating The World, The Wall Street Journal., 20.08.2011:  https://www.wsj.com/articles/SB10001424053111903480904576512250915629460 (abgerufen: 27.02.2020)

Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an w.brenner@acent.de

Walter Brenner | 05.03.2020

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