Vorwort
Kinder fragen sich häufig, was die Eltern eigentlich machen, wenn sie von morgens bis in den Abend und häufig auch am Wochenende ins Büro fahren. Dachdecker, Maler, Mechatroniker, sie alle können das leicht beantworten. Aber was antwortet die Managerin, der Manager? Und wenn man das schon seinen Kindern nicht erklären kann, kann man das zumindest den Mitarbeitern verständlich machen.
Teile der Antwort liefert Rainer Janßen in seinen Beiträgen zum „Management“, die wir in den kommenden Wochen hier auf der ACENT-Website veröffentlichen dürfen. Dabei geht es nicht nur um die Antworten auf kindliche Neugier, sondern natürlich auch um substanzielle Fragen.
Warum ruiniert das moralische Fehlverhalten einzelner Manager eigentlich den Ruf eines ganzen Berufsstandes? Reicht Management by Kennzahlen oder zählt der Mensch? Sind variable Vergütungssysteme und Bonifikationen bei Zielerreichung der Stein des Weisen? Multi-Kulti und Diversität, Teamwork und Individualisten, der Hype der Innovation, Hierarchien sind von gestern, es lebe die Hierarchie bis hin zu dem Wertesystem des ehrbaren Kaufmanns – Stationen einer Reise durch die Welt des Managers. Fragen über Fragen und Buchläden mit Regalen voller Antworten. Und jetzt noch ein Versuch, alle Fragen zu beantworten?
Nein, Rainer Janßen hat nicht den Anspruch, die abschließende Antwort (die ja bekanntlich 42 lautet) zu kennen. Nach erfolgreichen Jahrzehnten als CIO eines großen Rückversicherers lässt er uns in seiner launigen wie treffsicheren Sprache in den kommenden Wochen an den Irrungen und Wirrungen der Management-Laufbahn teilhaben.
Viel Vergnügen dabei wünscht Ihnen ACENT.
Robby Wirth
Vorstandsvorsitzender der ACENT AG
Einleitung
Manager sind inkompetente, machtversessene und geldgeile Egomanen. Als Nieten in Nadelstreifen versenken sie fröhlich eine Unternehmenstitanic nach der anderen, als Heuschrecken und Globalisierungsstrategen vernichten sie absichtlich und aus reiner Profitgier wertvolle Unternehmen und treiben deren Mitarbeiter in den Abgrund und als bonusversessene Zocker verursachen sie die Finanzkrise und den Absturz ganzer Volkswirtschaften. Mitarbeiter sind für sie nur Rohstoff (human resources). Sie mögen von Unternehmenswerten, den Shareholdern, Stakeholdern und sozialer Verantwortung faseln, aber was zählt ist: Ich, ich, ich; mein Dienstwagen, mein Büro und mein Spesenkonto.
Es gibt wohl wenige Berufe, die in deutschen Medien und der breiteren öffentlichen Diskussion ausschließlich und flächendeckend mit negativen Eigenschaften belegt sind wie der des Managers. Wenn im Tatort ein Manager auftaucht, ist er meist entweder der Mörder oder das – verdiente – Opfer. Bei Rosamunde Pilcher will der gefühlskalte Manager aus finanziellen Gründen die Schöne betören und dem edlen, verarmten Edelmann entwenden und in Comedies dienen Manager meist nur als Lieferanten menschenverachtender Witze und Sketche, die man sich sonst nicht zu erzählen traute. Nur ab und an darf ein Recke von altem Schrot und Korn – meist gespielt von Mario Adorf oder Götz George (Gott hab ihn selig) – noch aus der Rente zurückkehren, um die missratene Brut der Jungmanager in die Flucht zu schlagen.
Wenn über Management und Manager geschrieben wird, dann meistens von Menschen, die keine Manager sind. Journalisten, Schriftsteller, Drehbuchautoren und ähnlichen nehme ich das nicht übel. Ich erwarte ja von einem Krimiautor auch nicht, dass er mindestens zehn Leute ermordet hat, bevor er seinen ersten Krimi schreibt.
Aber bei den angeblichen Fachbuchautoren ist es vielleicht doch ein wenig anders. Wer dem praktisch Handelnden erklären will, wie er seine Aufgabe durchzuführen hat, sollte diese doch auch einmal selbst erledigt haben. Ein Fußballtrainer muss ja auch nicht unbedingt Weltmeister geworden sein, aber es hilft doch, wenn er den Sport einmal selbst ernsthaft betrieben hat.
Bücher über Management werden aber meistens von Professoren oder Beratern geschrieben, die selbst nie signifikante Managementaufgaben ausgefüllt haben. Die wenigen Bücher über das Thema, die von ehemaligen Managern geschrieben wurden, stammen von den großen Helden der Wirtschaft wie Welch, Gerstner oder Jobs. Sie haben aber – wie viele CEOs und Vorstände – nach eigenem Verständnis den Status „Manager“ schon längst hinter sich gelassen. Manager und Management sind für sie eher die Lehmschicht, die ihre neuartigen Ansätze verzögert oder gar verhindert haben. Die Bücher dienen mehr der Legendenbildung. Und vergleicht man den Inhalt altersweiser Vorträge der Herren mit ihrem realen Verhalten kann einem oft nur schlecht werden.
Dieses Beitrag ist dagegen vollständig aus der Sicht eines Handelnden geschrieben. Ich war mehr als dreißig Jahre Manager. Ich habe meinen Beruf überwiegend gerne ausgeübt und vor allem sah ich meine Aufgabe nicht nur als Job, der gut bezahlt wird, sondern als Beruf, als Profession, als etwas, das man mehr oder minder gut tun kann, das einem Identität gibt. Ein Schreiner will gute Möbel machen, die gut aussehen, im praktischen Leben funktionieren und handwerklich in der Auswahl und Verarbeitung des Materials überzeugen. Ein Musiker will nicht nur die Noten sauber vom Notenblatt abspielen, sondern durch seine Auswahl und Interpretation die Herzen der Zuhörer anrühren. Was will ein Manager? Was ist eigentlich mein Beruf?
Man muss leider feststellen, dass Manager selbst darüber selten nachdenken. Oder gar darüber schreiben. Man liest die Bücher der Gurus, in der Hoffnung auf ein Patentrezept, das einem zu Ruhm und Reichtum verhelfen möge. Aber selten setzt man sich ernsthaft mit dem eigenen Beruf auseinander, versucht ihn zu beschreiben und zu unterscheiden und so letztlich seine Schönheit und seinen Wert darzustellen.
Ich kann dem Leser dieses Artikels leider nicht die Antwort auf die Frage aller Fragen versprechen. Auch keine allgemeingültigen und endgültigen Weisheiten, Methoden oder auch nur Definitionen. Management arbeitet mit Menschen und für Menschen und ist allein deshalb immer von diesen Menschen, ihrer Person, dem Kontext und den Gegenständen der gemeinsamen Arbeit abhängig. Es gibt sehr viele Bücher, in denen immer wieder neue Patentrezepte verkündet werden, wie man die richtige Unternehmensstrategie findet, wie man den geschäftlichen Nutzen von Projekten misst, wie man durch Implementierung mechanistischer Methoden die Welt rettet. Viele dieser Arbeiten verwenden dabei immer wieder einen falschen methodischen Ansatz: Wenn man bei den aktuell erfolgreichen Unternehmen nach übereinstimmenden Verhaltensmerkmalen sucht, fehlen einem einfach die vielen Unternehmen, die gleiches getan haben, aber mittlerweile pleite sind, in der Stichprobe. Das ist ein bisschen so wie eine Umfrage unter Lottogewinnern nach der besten Kapitalinvestition zu machen: Da kommt raus, dass jeder mehr Lotto spielen sollte! Auch ist der prognostische Wert all dieser Untersuchungen denkbar gering: Von den Firmen, die etwa der berühmte Tom Peters in seinem Buch „In Search of Excellence“ pries, waren nach einigen Jahren nur ein Drittel noch wirklich „excellent“. Dabei sind die Konzepte und Werkzeuge oft nicht wirklich schlecht. Es lohnt sich, sich mit ihnen zu befassen. Aber man sollte sich immer an den alten Spruch erinnern: Wenn Du einem Kind einen Hammer gibst, sieht hinfort alles wie ein Nagel aus.
Wer den Heiligen Gral, den Stein der Weisen des Managements sucht, sollte hier aufhören zu lesen und andere Lektüre suchen. Dieser Blog ist von der Überzeugung getragen, dass die Sozialpsychologie und die Philosophie viel hilfreichere Instrumente liefern, über die Probleme eines Managers nachzudenken als BWL- oder MBA-Kurse. Und dass Thesen, nur weil sie von vielen zitiert und wiederholt werden, trotzdem nicht richtig sein müssen.
Vielleicht kann man ja mal etwas anders über Management reden als nur in Business Cases und BWL-Jargon. Ich bin überzeugt, dass es einen Kern unseres Tuns gibt, der es wert ist, getan zu werden, und der es auch verdient, dass man sich als Ausübender dieses Berufes mit ihm beschäftigt – und so letztlich vielleicht auch irgendwann diesem Beruf zu einem professionellen Selbstverständnis verhilft, das dann auch die öffentliche Wahrnehmung unseres Standes verändern kann.
Zum Schluss erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung. Vielleicht haben Sie sich nämlich schon gefragt, was Ihnen denn der alte weiße Mann über Führung erzählen will: Die neuen Generationen X, Y, Z sind doch so ganz anders als alles vorher, wollen anders arbeiten, mehr Work-Life-Balance, dank neuer Technologien weniger ortsgebunden etc. Das einzig überraschende an diesen Aussagen ist, dass es so seit etwa 20 Jahren immer häufiger Aussagen von Älteren gibt, dass es die nächste Generation besser kann mit der Führung. Bis dahin gab es über Jahrtausende von den alten Kulturen in Mesopotamien und Ägypten, über Aristoteles und Kant zu den moderneren Autoren drastische Kommentare über die Unfähigkeit und Faulheit der nächsten Generation. Beides hat nie gestimmt. Natürlich haben sich gesetzliche Rahmenbedingungen geändert, Werkzeuge zur Kommunikation etc., aber die Grundprobleme der Zusammenarbeit bleiben gleich. Auch die Führungstypen sind sehr ähnlich. Als ich begann, sagte man über die strikten Hierarchen, dass diese nur ein biologisches Problem seien, das sich mit der nächsten Generation herauswachsen würde. Das stimmte leider nicht. Auch in der nächsten Generation waren die rigiden Chef-Typen immer noch da. Sie nutzten vielleicht andere Mittel zur Kontrolle, aber ansonsten? Same procedure as every year. Und um Ihnen gleich alle utopischen Hoffnungen auf die gänzlich bessere Welt in der Zukunft zu nehmen, lassen Sie es mich einmal drastisch ausdrücken: Der Anteil der Arschlöcher auf jeder Hierarchieebene von Organisationen scheint eine Naturkonstante zu sein und sich trotz aller Bemühungen der Personalabteilungen nicht zu verändern!
Grundsätzliche Aussagen zum Umgang mit Menschen überdauern die Zeit. Lesen Sie einmal den wirklichen Klassiker zu diesem Thema von Adolph Freiherr Knigge. Nicht das, was heutige Benimmbücher daraus gemacht haben, sondern wirklich das Original. Es ist immer noch erstaunlich frisch und lesenswert. Denn da geht es nicht darum, welche Gabel man für welchen Gang benutzt, sondern um den achtsamen und respektvollen Umgang mit den Mitmenschen. Und solche die Zeit überdauernden Fragen – so wenigstens meine Überzeugung – behandeln auch die Beiträge in diesem Blog.
Um wen geht es hier eigentlich?
Das Wort Manager ist ein recht inflationär verwendeter Begriff. Seine Wurzeln liegen wohl im Lateinischen: Manus (Hand) und agere (tun, treiben) bildete irgendwann das italienische Wort maneggiari für das Pferd in der Manege (sic!) mit der Hand führen. Die ersten Manager tauchten deshalb wohl auch im Umfeld von Zirkus und Shows als Manager von Künstlern auf. Aus dem italienischen Wort entstand irgendwann das englische manage, dass ein Handhaben von irgendetwas bezeichnet.
Gehandhabt wird am Ende irgendwie alles, deshalb gibt es mittlerweile unheimlich viele Manager oder Managementfunktionen. Da gibt es den Facility Manager (früher Hausmeister) oder den Client Manager (Kundenbetreuer), den Task Manager auf ihrem PC, den Projekt-Manager, den Risk oder Compliance Manager, den Business Process Manager, den Manager Stakeholder Intelligence, den Service Manager und den Product Manager und viele andere mehr. Manchmal stehen sie großen Organisationen vor, manchmal sind sie Einzelkämpfer, manchmal auch nur einfache Angestellte mit einem bombastischen Titel, der wohl trösten soll, dass das Gehalt nicht so bedeutend ist wie der Titel.
Wenn ich hier von einem Manager rede, meine ich die Führungskraft in einem meist eher größeren Wirtschaftsunternehmen oder anderen Organisationen, der eine Gruppe von Menschen als Teil der Aufbau- und Ablauforganisation direkt oder über andere Manager führt. Ich klammere dabei bewusst den Vorstand oder die oberste Führungsebene, vielleicht auch Eigentümer des Unternehmens aus. Diese Menschen entwickeln oft ein anderes Verständnis von sich selbst und ihrer Aufgabe. Sie sind oft auch tatsächlich mehr in der „Außenpolitik“ tätig als mit der Führung der eigenen Organisation beschäftigt. Management ist für sie eher die Lehmschicht im Unternehmen, die verhindert, dass ihre großartigen Ideen an die Basis gelangen. Bei mir sind Manager diejenigen Führungskräfte, die die Organisationen am Laufen halten, die versuchen, die Willensbekundungen der Spitze in tägliches Tun zu übersetzen.
Dabei bin ich selbst von einem Umfeld geprägt worden, in dem es im Wesentlichen um wissensbasierte Dienstleistungen ging, weniger um die Produktion von Gütern. Der Gegenstand der zu erbringenden Leistung und der täglichen Arbeit ist in solchen Unternehmen oft weniger klar als in einem produzierenden Unternehmen, aber ich denke, dass viele meiner Überlegungen auch für Manager solcher Unternehmen hilfreich sein können. Außerdem sind viele Unternehmen, die am Ende reale Güter wie ein Auto produzieren, doch in weiten Teilen eher wissensbasierte Dienstleister als noch reine Blechbieger und Schrauber.
Es ist gar nicht so einfach und klar, was ein solcher Manager tut. Wenn Sie selbst Manager sind, sind Sie vielleicht einmal wie ich von Ihrem Kind aufgefordert worden, zu erklären, was Sie eigentlich so machen und wofür Sie Ihr Geld bekommen. Und dann wissen Sie, dass es gar nicht so einfach ist, diesen Beruf zu beschreiben. Ich habe es vor Jahren, als mein Jüngster diese Frage stellte für eine gute Idee gehalten, einen typischen Arbeitstag zu schildern. Als ich dann einige Tage später von der Arbeit nach Hause kam, fragte mich mein Sohn: „Na, hast Du wieder gut geschwallt!“
Natürlich ist das Gespräch mit Mitarbeitern oder Kollegen, der Vortrag vor Chefs oder Partnern, die Diskussion mit Projekten im Ringen um die richtigen Problemlösungen usw. usw. ein großer Teil der täglichen Arbeit, aber es ist auch nicht Alles. Deshalb versuche ich in den folgenden Abschnitten jeweils einen mir wichtigen Aspekt der Tätigkeit eines Managers zu beschreiben. Es ist meine subjektive Sicht der Dinge und es geht mir nicht um die Erarbeitung einer großartigen wissenschaftlichen Theorie. Deshalb zitiere ich auch nicht die Literatur im Text, um eine Art Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen, sondern gebe Ihnen zum Schluss eine Liste mit Literaturempfehlungen, um bestimmte Aspekte vielleicht zu vertiefen. Ansonsten soll jeder Beitrag vor allem als Anregung zur Reflexion und zur eigenen Positionsbestimmung dienen. Und wenn Ihnen Themen auffallen, die in meinem Arbeitsplan nach Ihrer Ansicht fehlen, bin ich natürlich für Ihre Hinweise besonders dankbar. Ansonsten bitte ich vorab schon hier um Nachsicht des Lesers. Getreu dem Motto eines langjährigen Chefs „Lieber einen Freund verlieren als eine gute Pointe“ neige ich zu spitzen, nicht immer ausgewogenen Formulierungen. Bei Themen, die mir sehr am Herzen liegen oder die mir im Berufsleben sehr viel Pein bereitet haben, kann das auch schon einmal in hoffentlich immer noch positiven Zynismus abgleiten.
Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an r.janssen@acent.de
Rainer Janßen | 18.10.2022