Wenn das mit den Boni so schwierig ist, kann man dann nicht einfach zu der Motivations-Methode zurückkehren, die gar nichts kostet und jeder einfach so nutzen kann: Mitarbeiter loben?! Das alte Sprichwort „Nicht gescholten ist genug gelobt“ wird zwar nicht nur von schwäbischen Managern mit Überzeugung immer wieder vorgetragen, aber trotzdem stünde das Loben ja allen frei. Das auch von der Personalabteilung kontrollierte jährliche Personalgespräch eignet sich dazu in aller Regel nicht. In diesem Gespräch zwischen Manager und Mitarbeiter wird das abgelaufene Jahr, Erfolge und Misserfolge, Entwicklungsbedarfe und Bildungsmöglichkeiten usw. besprochen. Insbesondere wenn es die im letzten Abschnitt besprochenen individuellen Bonusprogramme gibt, wird hier auch besprochen, wieviel Prozent des theoretisch möglichen Bonus der Mitarbeiter bekommt. Meist bleibt nach diesem Gespräch kein uneingeschränkt warmes, gutes Gefühl zurück, da auch bei sehr guten Mitarbeitern fast immer dort auch Schwachpunkte und Verbesserungspotentiale angesprochen werden. Das eigentlich Positive wird dagegen schnell abgehakt, es ist ja der unproblematische Teil des Gesprächs – aus Sicht des Chefs. Und dabei weiß man eigentlich schon aus der Kindererziehung: Wenn du lobst, dann sollst du nur loben und nicht mit einem „aber“ noch Verbesserungspotential hinterherschieben. Dieses „ja aber loben“ führt in der Regel zu einem Verlust der ganzen positiven Wirkung des Lobes. Aber das ist eher eines der kleinen technischen Details. Es ist alles deutlich komplizierter!
Ich muss mir zunächst einmal überlegen, wen ich da vor mir habe und wofür ich ihn eigentlich lobe. Wenn ich Akkordeon spiele und meine Frau mich für mein fehlerfreies Spiel lobt, bin ich sehr glücklich. Wenn sie das Gleiche zu einem Profi sagen würde, wäre der wohl eher beleidigt. Fehlerfrei spielen ist selbstverständliche Voraussetzung. Es ist die wunderbare Interpretation, die ich loben muss. Und wenn meine Frau mir einen Mantel genäht hat – hat sie gemacht und es war über Jahre mein Lieblingstrenchcoat – macht es sich sehr bezahlt, wenn ich im Entstehungsprozess zugehört habe, wo die schwierigen Klippen zu umschiffen waren, denn es ist sehr wichtig dann auch die richtigen Details zu loben.
Das ist einfacher, wenn ich nahe dran bin an dem Mitarbeiter und seinem Thema. Je weiter ich aber in der Hierarchie von dem Mitarbeiter und damit seinem Thema entfernt bin, desto mehr muss ich mich auf das Loben vorbereiten. Wenn ich dann ein Projektteam besuche und mir die Arbeitsergebnisse vortragen lasse, muss ich mich schon darauf vorbereiten, wen ich vielleicht loben könnte und wofür. Und wie ich glaubhaft vermitteln kann, dass ich als großer Chef tatsächlich mitbekommen habe, dass genau dieser Mitarbeiter das gemacht hat – und dass ich auch tatsächlich verstanden habe, was die besondere Leistung genau dieses Mitarbeiters war. Als IT-Chef habe ich immer wieder Teams besucht, die neue IT-Anwendungen für unser Unternehmen entwickelt haben. Für mich als Chef war vor allem wichtig, dass Zeitplan und Budget eingehalten wurden, was für die echten Entwickler nur „management stuff“ war. Sie wollten für die Lösung der richtig harten Probleme im Entwicklungsprozess gelobt werden: Sie hatten komplexe Datenmodelle in den Griff bekommen, sie hatten Algorithmen entwickelt, die so schnell waren, dass man damit wirklich interaktiv arbeiten konnte und sie hatten es in Zeiten, als die Netze noch nicht ganz so schnell waren, hingekriegt, dass man die Anwendung auch von Asien, Afrika und Südamerika aus benutzen konnte. Die Menschen sind verschieden. Sie leisten unterschiedliche Beiträge und – wie auch schon im Abschnitt über Diversity geschildert – wollen sie in ihrer Verschiedenheit wahrgenommen und also auch unterschiedlich gelobt werden.
Mit guter Vorbereitung kann man vieles hinkriegen, auch wenn man selbst gar nicht so viel Ahnung davon hat. Das habe ich von meinem Kompaniechef bei der Bundeswehr gelernt. Als junger Soldat erschien er mir ziemlich allwissend zu sein, denn wann immer er uns etwa bei der Wartung des Großgeräts besuchte, kannte er anscheinend alle, auch die verstecktesten Schmiernippel und Wartungspunkte, die Bedienung unseres Artillerieradargeräts wie auch der Vermessungstechnik. Später als ich Leutnant und sein Stellvertreter war, verriet er mir das Geheimnis. Er hat sich vor dem Besuch jeweils zwei Punkte rausgesucht, sich vorbereitet, zur Not noch einen Fachmann gefragt und dann konnte er auch mal einen erfahrenen Kfz-Mechaniker mit seiner Expertise überraschen.
So etwas kostet Zeit und die ist knapp. Gerade bei den großen Chefs. Aber es ist so traurig, wenn eine aufwändige Award-Zeremonie mit der ganzen Abteilung als Zuschauer organisiert wird und wenn dann schon beim Vorlesen der Begründung jeder im Saale merkt, dass da jemand überhaupt nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht. Warum das eine tolle Leistung war. Deshalb bitte ich Sie, sich immer die Zeit zu nehmen, sich auf das Loben richtig vorzubereiten.
Noch schwieriger kann es werden, wenn es um ein erfolgreiches Projekt geht, dass von einem größeren Team bearbeitet wurde. Für den Manager ist es am einfachsten, das Team als Ganzes zu loben und den Teamerfolg zu feiern. Dabei weiß das Team meist sehr genau, welche Mitarbeiter die Hauptleistungsträger waren, wer die wirklich kritischen Ideen zur richtigen Zeit hatte und wer auch nur so mitgeschwommen ist. Lobt man dann das ganze Team, fühlen sich die wahren Helden betrogen und die Mitläufer fühlen sich in ihrem Verhalten bestätigt: Es hat ja keiner gemerkt, dass sie nicht so engagiert waren! Lob für alle ist immer ein Lob für keinen. Die Unterscheidung macht Mühe und man hat auch immer Grenzfälle, aber es geht eben beim Loben immer auch um das Unterscheiden. Die Unsitte, die zurzeit in manchen Schulen und Kindergärten einreißt, auch dem Siebzehnten beim Sportfest noch eine große Urkunde zu geben, halte ich für nicht nachahmenswert und vor allem für unfair.
Loben ist wichtig. Es ist notwendig, dass besondere Leistungen gesehen, gewürdigt und anerkannt werden. Aber es ist ein zu wertvolles Instrument für die Atmosphäre in einer Organisation, als dass man damit leichtfertig oder gar schlampig umgehen sollte. Es lohnt sich, Zeit in die Vorbereitung, die richtige Auswahl der Kandidaten und Begründungen zu investieren. Wer dieses bisschen Zusatzarbeit investiert, wird entdecken, dass er die eigene Organisation sukzessive besser verstehen lernt und so die Vorarbeit immer geringer wird.
Noch schwieriger als Loben ist übrigens sein Gegenteil: Nein-Sagen. Immer wieder muss man als Manager einem Mitarbeiter die Nachricht überbringen, dass ein anderer die erhoffte Stelle erhält, ihm vielleicht sogar sagen, dass man ihm grundsätzlich eine bestimmte Position nicht zutraut usw. Mir ist das immer sehr schwergefallen und ich habe mir vorher sehr viele Gedanken gemacht, wie ich das doch trotzdem wertschätzend vermitteln kann. Es gibt dazu eine schöne Szene in Mario Puzos Klassiker „Der Pate“. Als der Don an Michael übergibt, muss dieser auch Tom Hagen mitteilen, dass er nicht mehr die Rolle des Consigliere behalten wird. Dies gelingt nicht wirklich gut und nachdem Tom den Raum verlassen hat, erklärt der Don Michael, worauf es ankommt: „Zu den Menschen, die man liebt, darf man nicht zu oft nein sagen. Das ist das ganze Geheimnis. Und wenn man es tut, muss es wie ein ja klingen. Oder man muss erreichen, dass sie von selbst nein sagen. Du musst Dir Zeit nehmen und Mühe geben. Aber ich bin ein altmodischer Mensch, während du zur neuen Generation gehörst. Also hör nicht auf mich.“
Jedenfalls würde das richtige Nein-Sagen ein eigenes Kapitel verdienen. Aber dafür bin ich wohl nicht der richtige Autor.
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Rainer Janßen | 10.02.2023