Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren
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Serie: Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Teil 18: Vertrauen - ein scheues Wesen

„Vertrauen“ – sagt Wikipedia – „Vertrauen bezeichnet eine bestimmte Art von subjektiver, auch emotional gefärbter Überzeugung, nach der man sein Verhalten einrichtet; hierdurch ist das Vertrauen auch eine Praxis (ein System des Handelns). Das Vertrauen auf eine andere Person beinhaltet Überzeugungen über ihre Redlichkeit und ihre zukünftigen Handlungsweisen: Man erwartet, dass diese Person einem hilfreich sein oder jedenfalls nicht schaden werde. Vertrauen bringt daher Kooperation hervor. Hierbei macht der Vertrauende Aspekte seines eigenen Wohlergehens und seiner Sicherheit vom Verhalten des Kooperationspartners abhängig, geht mit seinem Vertrauen also auch ein Risiko ein.“

Das Vorhandensein von Vertrauen in einer Organisation zwischen den Mitarbeitern wie auch zwischen Mitarbeitern und Management ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Zusammenarbeit effizient funktionieren kann. Wenn Mitarbeiter in einem zusammengewürfelten Projektteam sich nicht von Beginn an Vertrauen entgegenbringen, dann dauert es Wochen, bis das Team Geschwindigkeit aufnimmt. Wenn das Management einen Mitarbeiter mit einem sicheren Job in der Linie gewinnen möchte, die Leitung eines Risikoprojekts zu übernehmen, dann muss der Mitarbeiter das Vertrauen haben, dass man ihn auch wieder zurückbringt, selbst wenn das Projekt schief geht. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, Mitarbeiter für Auslandseinsätze zu gewinnen, weil die Rückkehr oft nicht einfach ist, wenn der Manager, der einen entsandt hat, nicht mehr da ist. Und große Veränderungsprogramme werden noch viel schwieriger, als sie sowieso schon sind, wenn jeder mit Misstrauen an die Sache herangeht, versucht sich abzusichern, jede Änderung erst einmal auf Gefahren für die eigene Position abklopft usw.

In allen unsymmetrischen Machtpositionen ist Vertrauen die wesentliche Basis, um effizientes Verhalten zu ermöglichen. Dabei gibt es im Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Manager diese Asymmetrie in beide Richtungen. Der Manager hat in vielerlei Weise Einfluss auf die berufliche Entwicklung eines Mitarbeiters: Gehaltsentwicklung, Beförderung, sicherer und guter Arbeitsplatz nach einer Reorganisation, etc. Andererseits ist der Manager darauf angewiesen, dass er vom Mitarbeiter rechtzeitig über Problemsituationen informiert wird. Er muss mir vertrauen, dass ich mit der Arbeitszeiterfassung genauso korrekt umgehe wie mit vertraulicher Information. Dies gilt noch viel mehr als früher, wenn ich dann immer öfter kaum kontrollierbar im Homeoffice sitze. Dort muss wieder der Mitarbeiter dem Manager vertrauen, dass dieser nicht die Möglichkeiten technischer Systeme nutzt, um herauszufinden, wie oft ich online bin, wie oft ich mit anderen Kollegen interagiere, wie schnell ich auf Anfragen in den Verwaltungssystemen reagiere usw.

Natürlich wird über Vertrauen viel geredet, beispielsweise im Zusammenhang mit der Vertrauensarbeitszeit und neuerdings der weit verbreiteten Einführung von Home-Office als Folge der Corona-Pandemie. Das klingt alles sehr schön, aber wenn man die Aussagen zu leistungsorientierter Vergütung und Bezahlung nach Ergebnis und nicht nach Zeit hört, umschleicht einen ein erstes leises Misstrauen. So groß ist das Vertrauen dann anscheinend doch nicht, wenn man es nicht ohne einen Vorbehalt auf einen Teil des Jahresgehalts aussprechen kann. Und wer die Probleme in der Zusammenarbeit in globalen Organisationen mit sehr verschiedenen Zeitzonen oder beim Ausrollen komplexer IT-Projekte und die dabei entstehenden Konflikte mit den Feinheiten der deutschen Arbeitszeitordnung wie Zehn-Stunden-Regelung oder Sonntagsarbeit kennt, den umschleicht nicht zu Unrecht der Verdacht, dass es bei der Vertrauensarbeitszeit eher um die Umgehung dieser Regelungen durch Verzicht auf Aufzeichnung geht als um den Ausdruck des Vertrauens.

Auch an anderer Stelle spürt man immer wieder, dass es um das wechselseitige Vertrauen nicht so gut bestellt ist. So kann man sich fragen, warum es denn Whistleblower braucht, wenn der Mitarbeiter vertrauensvoll zu seinem Management kommen kann? Oder warum werden größere Veränderungsprogramme in fast allen Unternehmen von externen Beratern getrieben und nicht von internen Mitarbeitern? Weil man doch den Frosch nicht fragt, wenn man den Sumpf trocken legen will? Diesen Spruch habe ich jedenfalls im Laufe meines Berufslebens immer wieder von Top-Managern gehört! Ist es da ein Wunder, wenn Mitarbeiter sich vielfach so vorkommen wie Mogli, wenn ihm Kaa vorsingt: Vertraue mir?!            

Wenn bei allen diesen Themen eher das Misstrauen regiert, wird es überall vor jedem Handeln komplizierte Verhandlungen über die wechselseitige Absicherung geben: Betriebsvereinbarungen über die Nutzung technischer Systeme zur Kontrolle des Leistungsverhaltens, Rückkehrvereinbarungen aus Auslandsentsendungen oder Projektdelegationen und viele Informationsflüsse werden unterbunden, mit dem Risiko größerer Schieflagen in der Folge.

Insbesondere bei größeren Veränderungsprogrammen ist von vornherein klar, dass es Gewinner und Verlierer geben wird. Wenn die Notwendigkeit der Veränderung den Mitarbeitern überzeugend vermittelbar ist, wird dies in vielen Fällen auch akzeptiert und unterstützt. Aber es ist die große Frage, ob die Beteiligten das Vertrauen haben, dass verantwortlich mit jedem Einzelnen umgegangen wird. Es braucht Zeit, solches Vertrauen aufzubauen. Das Verhalten des Managers wird in jeder seiner Aktionen von den Mitarbeitern beobachtet und registriert. Und jeder Vertrauensbruch wird gesehen und im historischen Gedächtnis der Organisation gespeichert.

Man mag zwar aus seiner Beschäftigung mit Politik und Politkern den Schluss ziehen, dass der deutsche Wähler im Durchschnitt doch recht vergesslich ist und schon nach kurzer Zeit vergessen hat, was ihm vor der Wahl einmal versprochen wurde. Aber diese Situation ist mit dem Arbeitsleben kaum vergleichbar. Der Einfluss politischer Maßnahmen ist oft eher abstrakt und die Auswirkungen auf mein persönliches Leben sind zeitlich entkoppelt. Die Auswirkungen von Managemententscheidungen auf das Leben eines Mitarbeiters sind dann doch eher sehr konkret und zeitnah. Deshalb funktioniert hier das Gedächtnis des Einzelnen wie der Organisation sehr gut. 

Besondere Verantwortung wächst aber dem Manager zu, in einer größeren Organisation darauf zu achten, dass auch der Umgang der Managerkollegen mit dem Vertrauen der Mitarbeiter den gemeinsamen Erwartungen entspricht. Ein Fehlverhalten anderer Manager wird dem oberen Chef wie auch seinen Kollegen mindestens in Anteilen zugerechnet. Deshalb muss der Schutz des Vertrauens zwischen Management und Mitarbeitern eine gesamtheitliche Verantwortung sein. In vielen Organisationen wird immer wieder über „unsere Werte“ gefaselt, nur um dann irgendwann festzustellen: Solange ein Manager seine Umsatz- und Profitziele macht, kann er sich jede Werteverletzung leisten. Dies darf nicht akzeptiert werden. Ein Wert ist so etwas wie die allseits akzeptierte Regel in Deutschland, dass man niemanden umbringen darf. Es gibt kein Bundesverdienstkreuz, wenn man vierzig Jahre niemanden getötet hat, sondern das ist die Voraussetzung, um überhaupt mitzuspielen.  

Es braucht lange, Vertrauen aufzubauen, aber es ist ein sehr empfindliches Konstrukt und kann schnell zerstört werden. Deshalb ist es unverzeihlich, wenn Fehlverhalten in diesem Bereich toleriert oder gar gedeckt wird. Gerade in kritischen Situationen ist für jedes Unternehmen gegenseitiges Vertrauen zwischen Managern und Mitarbeitern ein sehr hohes Gut. Wohin es führen kann, wenn zu lange geschwiegen wird, zeigen uns die #metoo Debatte und die Situation der katholischen Kirche. Deshalb muss es für alle Manager heißen: Wehret den Anfängen! Schaut hin, beobachtet euch selbst, aber schweigt auch nicht über Probleme bei Kollegen.

 

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Rainer Janßen | 21.03.2023

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