Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren
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Serie: Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Teil 4: Es geht um Menschen

 

 

Die Kernaufgabe des Managements ist aus meiner Sicht, die dem jeweiligen Manager für die Erfüllung seiner Aufgaben anvertrauten Menschen zu führen. Dazu muss man sie zuerst einmal auch wirklich als Menschen wahrnehmen und nicht als austauschbare Ressourcen. Menschen sind mehr als Personentage, vielleicht noch hinterlegt mit ein paar Qualifikationen in der Skill-Datenbank. Man kann auch nicht zwei Halbzeitmitarbeiter einfach zu einem Full-Time Equivalent zusammenrechnen. Sondern man muss die Menschen in ihrer ganzen Verschiedenheit und Individualität wahrnehmen.

Für manche ist der Job nur Broterwerb, für andere ist er Leidenschaft und Lebenszweck. Die einen wollen Karriere machen, andere wollen einfach ihre Sache gut machen. Manche reden gerne, arbeiten gerne in Teams und freuen sich über neue Aufgaben. Und andere sind Weltklasseexperten, arbeiten aber lieber allein in ihrer Mönchsklause und reden nur, wenn es nötig ist. Vielleicht konnte ich in frühen Zeiten der Industrialisierung Aufgaben als standardisierte Tätigkeiten für menschliche Roboter auffassen, aber diese werden immer mehr durch Roboter oder den Computer erledigt. In der Dienstleistung und noch mehr in der wissensbasierten Dienstleitung und Produktentwicklung kommt es auf den Menschen in seiner ganzen Individualität an.   

Viele Unternehmen und viele Manager sagen zwar immer wieder, dass die Mitarbeiter ihre wichtigsten und kostbarsten Ressourcen seien, aber sie handeln in der Praxis nicht so. Ein kleines Indiz dafür ist für mich auch immer der Name der Personalabteilung. In vielen Unternehmen wird sie heute HR für Human Resources genannt. Das soll wohl irgendwie modern und international klingen, aber es zeigt auch, dass die Mitarbeiter eigentlich nur als eine weitere Ressource neben Kapital, Gebäude, Produktionsmitteln etc. gesehen wird. Damit wird man der besonderen Ressource Mensch aber nicht gerecht.

Wenn ich als Manager also beispielsweise eine neue Organisation übernehme, ist es die erste und wichtigste Pflicht, die Menschen kennenzulernen, für die ich nun Verantwortung übernommen habe, mit denen ich herausfordernde Ziele für das Unternehmen erreichen will, denen ich vielleicht auch schwierige Projekte oder schmerzhafte Veränderungen zumuten muss.

Natürlich kann ich als Chef einer großen Organisation nicht alle meine Mitarbeiter individuell kennenlernen. Aber viele Manager scheinen ausschließlich die formal direkt an sie berichtenden Mitarbeiter als durch sie zu führende Menschen sehen. Ein Vorsitzender eines DAX Konzerns mit zehntausenden Mitarbeitern sagte mir einmal explizit, dass er ja im Wesentlichen sieben Mitarbeiter zu führen habe! Er hat natürlich das formelle Programm seiner HR und Kommunikationsabteilungen abgehakt und ab und an in Town Hall Meetings Vorträge gehalten, mit Gruppen von Mitarbeitern beim Lunch zusammengesessen und was denn sonst so an formellen Instrumenten im Unternehmen vorhanden war. Aber Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, ob das Interesse an ihnen authentisch ist oder ob nur ein Punkt auf der Kommunikationsagenda abgehakt wird.

Chefs unterschätzen oft, wie gut auch die Basis ihrer Organisation informiert ist, wie sich der Chef im täglichen Umgang verhält. Im Vergleich wissen solche Chefs oft fast nichts darüber, wie sich das wirkliche Leben an der Basis anfühlt. Und ich meine hier nicht die wirklich kniffligen Fälle, in denen Chefs behaupten, nichts gewusst zu haben etwa von Mauscheleien bei Abgasmessungen an Autos, Bestechungen in den bestechungsaffinen Märkten, bei dem Verkauf öffentlicher Infrastruktur oder den Puffbesuchen auf Incentive-Events für Vertriebsmitarbeiter. Sondern wie steht es um das Wissen über das Alltagsleben des Mitarbeiters an der Front zum Kunden? Wie gut funktioniert unser Produkt tatsächlich? Klappt es mit dem Support und mit der Hotline? Kann man die neuausgerollte IT-Lösung wirklich benutzen oder funktioniert außer der Demo nicht viel? Sind unsere Preisvorstellungen am Markt realistisch, sind wir als Organisation zu langsam? Wie groß ist die Überlastung, sind die Projektressourcen in Umfang und Qualität verfügbar?

Wenn ich auch nur annähernd ein Gefühl dafür entwickeln will, wie der Zusammenhalt in meiner Organisation ist, was ich an Belastungen und Veränderungen meinen Mitarbeitern zumuten kann, dann sollte ich sie kennen.

Das kostet vor allem Zeit. Zeit, in denen man in wichtigen Meetings sitzen könnte, mit wichtigen Kunden reden könnte etc., aber wenn die Mitarbeiter tatsächlich meine wichtigste Ressource sind, dann verdienen sie auch den größten Anteil meiner Zeit.

Nehmen Sie als Beispiel mal den Einstellprozess. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Einstellentscheidungen – nicht die Entscheidung über die Stelle, sondern die Entscheidung über die einzustellende Person – relativ weit unten in der Hierarchie getroffen wird. Bei Einstellungen eines akademisch qualifizierten Mitarbeiters mit mehrjähriger Berufserfahrung können Sie in einem deutschen Konzern mit Vollkosten inkl. Büro, Managementoverhead, Urlaub, Schulung, Krankheitskosten etc. über 150K€ pro Jahr rechnen. Da Sie bei deutschem Arbeitsrecht den nicht mehr schnell und leicht loswerden, reden wir über eine Investition von 5Mio€ bis zur Rente in 30 Jahren. Solche Investitionsentscheidungen werden normalerweise keinesfalls ohne die Beteiligung höherer Managementebenen getroffen! Dabei haben etwa die Manager der untersten Führungsebene gar nicht die Gelegenheit, genug Erfahrung mit dem Einstellen von Mitarbeitern zu erwerben, und ein Fehler gerade bei Einstellentscheidungen wirkt über viele Jahre fort.

Wer sich als Manager nicht wirklich für die Menschen in seiner Organisation interessiert, wird auch nie wissen, wie er seine Führungsbotschaften formulieren muss, um diese Menschen zu erreichen, sie für die Ziele der Organisation zu begeistern, in kritischen Situationen die Bereitschaft zu besonderem Einsatz zu erzielen. Er wird auch von Krisensituationen oft viel zu spät Kenntnis erhalten, denn Hierarchieebenen haben nun mal die Neigung schlechte Nachrichten zu schönen oder gleich ganz zu filtern.

Wir werden in den folgenden Abschnitten viele der hier nur angerissenen Themen noch im Detail behandeln. Wer glaubt, seine Unternehmensziele bzw. Organisationsziele mit tollen Strategiefolien und Excel-Spreadsheets erreichen zu können, ohne sich intensiv um die Menschen seiner Organisation zu kümmern, der wird nach meiner Einschätzung sicher scheitern – und er kann hier mit dem Weiterlesen aufhören! 

Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an r.janssen@acent.de

Rainer Janßen | 15.11.2022

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