An der Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturen wird man selbst in einem deutschen Unternehmen, das nur deutsche Staatsbürger beschäftigt, kaum vorbeikommen. Dies ist interessant und bereichernd, auch wenn es nicht immer einfach ist. Aber in der Regel ist doch Deutsch weiter die dominierende Sprache und die Integrationserwartung an die Mitarbeiter ist auch überwiegend – bei allem Respekt für religiöse Randbedingungen – eher unsymmetrisch.
Dies ändert sich fundamental, wenn sich das Geschäft eines Unternehmens internationalisiert, es ausländische Partner, Lieferanten oder gar Tochterunternehmen im Ausland gibt. Ich habe schon in einem früheren Abschnitt darauf hingewiesen, dass kulturelle Faktoren keine weichen Faktoren sind, sondern sehr, sehr hart sein können. Und natürlich muss man sich vieles wirklich spezifisch für jeden Kulturkreis anschauen. Es gibt kein einfaches allgemeines Programmschema, dass man durchziehen könnte. Aber ich meine, dass mir in meinem Leben als Manager ein paar grundlegende Fehler aufgefallen sind, die immer wieder gerne gemacht werden.
Der erste Fehler – der weitere nach sich zieht – ist, Englisch für eine leichte Sprache zu halten. Ja, die Grammatik ist einfacher als die deutsche. Die Rechtschreibung respektive die Aussprache ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Während im Deutschen Schrift und Aussprache einigermaßen korrelieren, meinte Bernhard Shaw einmal, dass das Wort „fish“ eigentlich „ghoti“ geschrieben werden sollte: Mit dem f von rough, mit dem i von women und dem sch von nation.
Trotzdem kann man als Deutscher mit Englisch deutlich leichter starten – wenn auch vielleicht etwas radebrechend. Man kann sich leichter verständigen als ein Engländer, der Deutsch lernt – zumindest scheinbar.
Denn Englisch ist eine im British Empire organisch gewachsene Sprache, die einen viel reicheren Wortschatz hat als Deutsch oder andere Sprachen. Vor allem hat diese Sprache für alles Mögliche sehr viele Synonyme, die so ungefähr das Gleiche, aber dann doch wieder etwas ganz anderes meinen. Deshalb ist es zwar leichter mit dem Sprechen in Englisch anzufangen als etwa im Französischen, aber es ist wesentlich schwieriger in dieser Sprache richtig gut zu werden. Wenn ein deutscher Ingenieur in einem internationalen Projekt einem sprachbegabten „native speaker“ gegenübersteht, ist er ihm meist in der rhetorischen Auseinandersetzung deutlich unterlegen. Das bedeutet, dass die Vertreter etwa einer deutschen Muttergesellschaft es in einem Kooperationsprojekt mit ihren amerikanischen oder britischen Töchtern deutlich schwerer haben, die Interessen der Zentrale durchzusetzen.
Auch der Glaube, dass Englisch die Weltsprache ist und alle sich darin verständigen können, ist falsch. Skandinavier und Niederländer sind meist ganz gut, weil sie viele amerikanische Serien im Fernsehen übertragen, die nicht synchronisiert werden, weil der kleine Markt die Kosten dafür nicht trägt. So geraten in diesen Staaten viele Menschen schon früh in den Kontakt mit Englisch. Die Südeuropäer sind da weitaus schlechter. Und auch sind die tatsächlichen Englischkenntnisse deutscher Arbeitnehmer oft deutlich niedriger als es die Angaben im Lebenslauf nahelegen.
Besonders schwierig wird es dann, wenn Worte im Englischen oder Amerikanischen fast gleich klingen wie im Deutschen, aber eine völlig andere Bedeutung haben. So bekam ich in den Anfangszeiten der Zusammenarbeit mit unserer neuen amerikanischen Tochter immer wieder sowohl von meinen deutschen als auch meinen amerikanischen Kollegen gemeldet, dass die Zusammenarbeit nicht funktioniert. Es hat lange gedauert, bis ich verstand, dass der Ursprung in der unterschiedlichen Bedeutung des Wortes concept / Konzept lag. Das amerikanische „concept“ ist „a rough collection of ideas“, also 15 Seiten Power Point. Das Konzept des deutschen Ingenieurs ist eine umsetzbare Leistungsbeschreibung, also 50 Seiten Word-Dokument. Da können Sie sich den Frust der beiden Gruppen vorstellen, wenn die mit ihren Hausaufgaben zusammentreffen. Die einen sind sauer, weil die anderen nichts getan haben, die anderen sind beleidigt, weil man sie nicht an der Ausarbeitung der Ideen beteiligt, sondern alle Entscheidungen schon vorweggenommen hat.
Eine vergleichbare Schwierigkeit tritt mit englischen Kollegen bei der Verwendung des Wortes problem / Problem auf. Wir sagen recht locker, dass wir etwa mit dem Vorgehen der Kollegen ein Problem haben, dabei dürften wir höchstens einen „issue“ haben. Ein „problem“ ist im Englischen etwas wirklich Schwieriges. Wenn ein englischer Projektleiter Ihnen schreibt, er habe ein „problem“ mit seinem Projekt, dann schicken Sie emergency rescue, SWAT-Teams, Hubschrauber, was immer Sie haben. Denn die Fabrik ist explodiert, 50 Tote liegen am Boden, Blut fließt in die Gullys – das ist ein „problem“!
Auf einen weitverbreiteten Fehler möchte ich an dieser Stelle noch eingehen. So wurde ich, als ich meine ersten Versuche der Zusammenarbeit mit indischen Partnern unternahm, fast sofort auf die Probleme mit den kulturellen Unterschieden angesprochen. Bei früherem Zusammenarbeiten mit Italienern, Franzosen oder gar Österreichern war dies nie ein Thema gewesen.
Ich habe den Eindruck, dass viele meinen, die Kultur der europäischen Nachbarländer zu kennen, weil sie dort schon oft im Urlaub gewesen sind. Aber es ist etwas völlig anderes, in anspruchsvollen beruflichen Projekten im Wettbewerb miteinander zusammenzuarbeiten, als sich im Restaurant oder in der Oper zurechtzufinden. Die Unterschiede sind auch im europäischen Raum deutlich, und hier ohne Vorbereitung zu starten, wäre wirklich fahrlässig. Ich kann nur jedem raten, sich vor der ersten Zusammenarbeit mit einem Team aus einem anderen Kulturkreis ernsthaft vorzubereiten und vor allem für Signale kulturbedingter Unstimmigkeiten offen zu bleiben.
Die Art und Weise, wie in diesen Ländern geführt wird, unterscheidet sich deutlich, sowohl untereinander wie auch von dem deutschen Vorgehen. Und wenn man das nicht weiß, die Unterschiede, die Fettnäpfchen und die No-gos nicht kennt, dann wird es mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit etwas schwierig. Ich empfehle Ihnen dazu sehr, einmal das Buch von Fons Trompenaars und Charles Hampden-Turner „Riding the Waves of Culture: Understanding Cultural Diversity in Business“ zu lesen.
Als Anfang der 1990er Jahre die IBM riesige operative Verluste einfuhr, war die Firma unter der neuen Führung von Lou Gestner zu gewaltigen Personalabbauprogrammen gezwungen. Der damalige Personalvorstand der IBM Deutschland erzählte mir einmal von einem Meeting der Personaler in Paris, bei dem sie von ihrem Chef die Vorgaben für den Abbau bekamen. Er stritt sich lange mit seinem europäischen Chef, weil er die Zahlen zwar schaffen konnte, aber nicht die Zeitvorgaben. Der Chef sagte aber nur ungerührt: „Helmut, just do it!“ Am Flughafen traf er seinen italienischen Kollegen und fragte Stefano, warum er nicht mit ihm gekämpft habe, denn mit seinen Gewerkschaften sei das Problem doch eher noch schwieriger als mit den deutschen. Stefano antwortete gelassen: „Look, Helmut, when I will come home, maybe I got a different government.”
Und eine andere Anekdote zeigt diesen sehr flexiblen Umgang mit Problemen noch besser. So hatte in frühen Zeiten die IBM Europa mal entschieden, sich aus dem Geschäft mit dem Mittelstand zu verabschieden, um sich auf die profitablen Großkunden zu konzentrieren. Alle Ländergesellschaften sollten den Mittelstandsvertrieb auflösen. Italien hatte damit eigentlich ein großes Problem, denn in der italienischen Wirtschaft gab es damals wenige Großunternehmen. Sie haben deshalb einfach die Berichtswege geändert, die Organisationen umbenannt, nach einem Monat Vollzug gemeldet – und weiter Geschäft gemacht. Die Deutschen haben dann neun Monate Prügel bezogen, weil sie nicht fertig wurden. Als dann bald Nixdorf zeigte, wie in diesem Segment durchaus Geld zu verdienen war, und der Vertrieb wieder aufgebaut werden sollte, war Italien wieder in einem Monat fertig und Deutschland bezog neun Monate Prügel.
Aber besonders im Verhältnis zu den USA konnte man in den letzten Jahrzehnten immer wieder nach der Übernahme amerikanischer Firmen durch deutsche Eigner erleben, wie groß die Diskrepanz zwischen eingebildetem und tatsächlichem Verständnis für amerikanisches Managementvorgehen war. Es sind so viele dieser Übernahmen daran gescheitert oder sind frühestens nach langer Durststrecke profitabel geworden. Vielfach wussten die Deutschen noch nicht einmal, was ein Amerikaner meint, wenn er die Frage „How are you?“ oder „How is business?“ mit „Excellent“ beantwortet, nämlich „Ist schon in Ordnung, geht so“.
Wenn Sie also zum ersten Mal mit einer Organisation in einem für Sie neuen Partnerland arbeiten sollen, versuchen Sie sich aktiv darauf vorzubereiten, worauf Sie achten müssen, wo die Fallen und Fettnäpfchen sind. Tun Sie das nicht nur bei den exotischen Ländern, etwa in Asien, sondern auch in Europa und Amerika, selbst wenn Sie die Länder schon oft im Urlaub besucht haben. Und vor allem: Glauben Sie keinesfalls, dass es mit Österreich einfacher sein wird, weil es da kein Sprachproblem gibt!
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Rainer Janßen | 12.01.2023