Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Serie: Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Teil 23: Fehler sind O.K., Wiederholungen nicht!

In der IBM kreiste ein Spruch, der einem anonym gebliebenen Softwareingenieur aus einem der riesigen Entwicklungslabore der IBM in den USA zugerechnet wurde: „And with amused resignation, they ever repeat, what they know will fail!“ Ich habe ihn immer wieder gerne zitiert, bis mir im Laufe der Jahre klar wurde, dass er schön, aber falsch ist. Zunächst einmal müsste es im zweiten Teil heißen „what they SHOULD know will fail“. Und dann waren sie gar nicht resigniert und ich war nicht amüsiert, sondern eher frustriert und sauer. Ich kam mir oft vor wie in einer Sushi-Bar mit so einem Endlos-Rollband, von dem man sich die Happen herunternehmen kann. Da kommt dann auch immer wieder das Stückchen Seegurke vorbei, dass ich immer nur mit dem Gedanken ansehe: Dich wollte ich schon beim letzten Mal nicht.

Nun hatte ich sicher auch einen ungewöhnlichen Berufsweg. Ich war zunächst 13 Jahre in einem Forschungszentrum der IBM, zwar in unterschiedlichen Funktionen aber doch immer in der gleichen Organisation. Dies ist in einer Firma, die so oft umorganisierte und die Mitarbeiter verschob, dass die Mitarbeiter IBM auch als I´ve Been Moved interpretierten, eher selten. Ich war dann 19 Jahre CIO bei dem gleichen DAX Unternehmen. Die durchschnittliche Verweildauer in diesem Job lag in der gleichen Zeit in Deutschland laut CIO-Magazin unter 4 Jahren. Wenn man dann – wie ich – mit einem einigermaßen guten Gedächtnis gesegnet ist, kommt man im Laufe seines Berufslebens doch auf eine erhebliche Anzahl von Deja-vu-Erlebnissen. In der Politik wird häufig gefordert, aus der Geschichte zu lernen. In Unternehmen scheint diese Empfehlung unbekannt zu sein. Es ist doch erstaunlich, dass nicht nur unterschiedliche Unternehmen den gleichen Fehler machen. So gibt es weithin bekannte etablierte Methoden, mit denen man ein SAP-Einführungsprojekt erfolgreich versenken kann. Es findet sich immer wieder ein Unternehmen, um das noch einmal modellhaft vorzumachen. Aber es schaffen auch Unternehmen allein, den gleichen Fehler zweimal zu machen. Nehmen Sie den Erwerb einer amerikanischen Tochtergesellschaft. Da können Ihnen Berater sicher auch eine Liste von Don`ts aufstellen – und eine Liste mit Unternehmen, die es trotzdem gemacht haben und viel Lehrgeld bezahlt haben, und auch eine Liste von Unternehmen, die es mehrfach gemacht haben.

Nun sind Fehler nicht grundsätzlich schlecht, sie sind einfach ein Teil unserer menschlichen Natur und auch Konsequenz der Unvorhersagbarkeit der Zukunft. Grundsätzliche Fehlervermeidungshaltung machen uns langsam und unproduktiv. „Wer arbeitet macht Fehler und Fehler machen wir nicht!“ So hieß ein alter Hippie-Spruch. Das sah Thomas Watson Jr., der Sohn des IBM Gründers, der IBM zur weltweit dominanten Mainframe-Company machte, anders. Als ein junger Vertriebsmanager, der ein für IBM sehr verlustreiches Geschäft zu verantworten hatte, ihn nach seinem Vortrag über die Fehleranalyse fragte, ob er nun gefeuert sei, sagte Watson: „Zum Teufel, nein! Ich habe gerade 10 Millionen Dollar in deine Ausbildung gesteckt!“ Diese Aussage bringt aber auch klar die Erwartung zum Ausdruck, dass man aus Fehlern lernt.

Woran liegt es nun, dass wir anscheinend trotzdem nicht lernen? Wieso werden in Übernahmeprojekten die vielbeschworenen Synergien häufig systematisch überschätzt? Wieso schicken wir in wichtige Projekte immer wieder die falschen Mitarbeiter? Manchmal ist es einfach nur Ignoranz und Arroganz. In einem Lehrbuch über die Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen lernte ich im Grundstudium etwas über resonante Schwingungen als Lösungen solcher Gleichungen. Der Autor erzählte, dass in den USA eine Brücke in einem Sturm in resonante Schwingungen geraten und zusammengebrochen war. Der Bürgermeister sprach am Standort der Brücke zu Bürgern und Presse und versicherte, man werde sich nicht abschrecken lassen und die gleiche Brücke am gleichen Ort wieder aufbauen. Der Autor hatte zu dem Bericht einen Leserbrief geschrieben, dass dann die gleiche Brücke an der gleichen Stelle auf die gleiche Weise zusammenbrechen würde – und das sei mathematische beweisbar!

Oft liegt es daran, dass dem Unternehmen Erfahrung verloren gegangen ist bzw. das Management selbst nicht über ausreichend Erfahrung verfügt. So sagte mir ein weiser Kollege mal: „Früher haben wir die jungen Leute Erfahrungen sammeln lassen und sie dann in den Vorstand geschickt. Heute schicken wir sie in den Vorstand, um Erfahrung zu sammeln.“ Viele Managementstationen werden viel zu schnell durchlaufen, um wirklich Erfahrung zu sammeln. Jede einzelne Aufgabe sollte man mindestens vier Jahre innehaben: Im ersten Jahr die neuen Dinge anstoßen, im zweiten Jahr erleben, was geht und was nicht, im dritten Jahr seine Fehler ausbügeln und vierten Jahr stabilisieren und verbessern. Wenn jemand in deutlich kürzeren Abständen von Job zu Job springt, hat er gar keine Chance überhaupt Erfahrung aufzubauen. Andererseits wird immer wieder systematisch Erfahrung eliminiert.  Firmen haben die Neigung, bei größeren Personalabbauprogrammen alle erfahreneren Mitarbeiter in den Vorruhestand zu schicken, und deshalb ist dann irgendwann keiner mehr da, der weiß, wie sich ein schiefliegendes Projekt anfühlt. Vielfach sind es aber auch bewusst unterdrückte Erfahrungen, bei denen ein neues junges Managementteam bei Hinweis auf alte Erfahrungen munter darauf verweist, dass ja jetzt ein ganz anderes Management am Ruder ist, und da wird es schon anders gehen.

Aber natürlich wird die Geschichte von Unternehmen auch nie – ehrlich – dokumentiert. Und das ist auch völlig verständlich. Kein Unternehmen und noch mehr kein einziger Mitarbeiter dokumentiert gerne die Details seines Versagens. Es gibt zwar in Unternehmensbereichen, die weitgehend projektgetrieben sind, die Sitte, am Ende von Projekten die „Lessons learned“ zu dokumentieren. Aber es ist klar, dass der Ehrlichkeit hier auch Grenzen gesetzt sind. Wenn etwa ein einflussreicher Bereichsleiter das Projekt, wo immer er konnte, sabotiert hat, dann wird man das so nicht in den „Lessons learned“ finden, obwohl es eine sehr hilfreiche Information für zukünftige Projektleiter wäre. Dennoch würde es sicher helfen, wenn Unternehmen verpflichtend eine solche Abschlussdokumentation von Projekten wie die Schaffung neuer IT-Systeme, Reorganisationsprojekte, Veränderungsprojekte, Erwerb neuer Gesellschaften, Inbetriebnahme neuer Fabriken, … fordern würden. Jeder Projektleiter eines neuen Projekts sollte dann Zugriff auf die Dokumentationen der für ihn relevanten Projekte bekommen. Und es sollte nach Abschluss des Projekts überprüft werden, ob er Fehler wiederholt hat, die frühere Projekte dokumentiert haben.

In früheren Zeiten konnte man sich noch darauf verlassen, dass in den Reihen des höheren Managements immer Silberrücken waren wie ich, die die Erinnerung bewahrten und weitergaben. Denn letztlich können gerade die, wie oben im Beispiel erläutert, nicht dokumentierten Fehler nur über Erinnerung transportiert werden. Da war dann nur das Problem, ob denn die neue Generation die Erfahrung ernst nehmen wollte oder nicht. Heute dreht sich das Personalkarussell so schnell, dass der Transport von Erfahrung über Personen überhaupt nicht mehr geleistet werden kann, selbst wenn er gewollt wäre. Deshalb wäre eine formale Dokumentation wichtiger Ereignisse der Unternehmenshistorie wichtig, um daraus zu lernen. Und wahrscheinlich sollte man selbst erfolgreiche Projekte nochmal sorgfältig dokumentieren. Denn die Mythen, die sich um solche Projekte nach einigen Jahren ranken, haben oft mit der Wahrheit auch nichts mehr zu tun.

Völlig unabhängig davon, was Ihr Unternehmen im Hinblick auf Fehlerdokumentation tut, dokumentieren Sie nur für sich Ihre eigenen Fehler und woran man hätte erkennen können, dass es schwierig wird. Vergessen Sie dabei nicht die menschlichen Aspekte: Wo haben Sie Menschen enttäuscht, im Stich gelassen, nicht die richtigen Mitarbeiter ins Projekt entsandt usw.! Denn Sie werden nicht immer vermeiden können, den lieben Kollegen im nächsten Projekt wiederzusehen, aber Sie sollten dann wenigstens vorbereitet sein, wie Sie damit umgehen.

Zum Schluss möchte ich Sie vor zwei Fehlern warnen, die ich selber gemacht habe, über die ich aber bisher wenig in der Management-Literatur gelesen habe. Auf den ersten wies mich eine Dinner-Speakerin bei einer Management-Konferenz hin. Sie war Profi-Bergsteigerin und gerade wieder auf dem Weg in den Himalaya. Sie erzählte, dass es die meisten Toten beim Bergsteigen nicht beim Aufstieg, sondern beim Abstieg gibt, weil die Kollegen fälschlicherweise den Gipfel für das Ziel halten und nicht das Base-Camp. Genau das ist mir bei einem Großprojekt passiert. Ich weiß noch genau, mit wieviel Begeisterung ich auf die Bühne bei der Kick-off-Veranstaltung gesprungen bin, weil ich mich nach vielen Jahren des Kampfes für dieses Projekt am Ziel meiner Träume fühlte. Tja, und dann begann der harte Kampf ums Überleben beim Abstieg. Seit mir dieser Fehler bewusst geworden ist, habe ich ihn immer wieder gesehen, ganz besonders bei der Verkündung von Unternehmensfusionen wie der Hochzeit im Himmel von Daimler und Chrysler, aber auch bei der Ankündigung großer Reorganisations- und Transformationsprojekte und vielen anderen ähnlichen Projekten.  

Der zweite Fehler hat mit Macbeth zu tun. In der Psychologie gibt es einen Lady Macbeth Effekt. Diese versucht in einer Szene im Wahn einen imaginären Blutfleck wegzuwaschen und man bezeichnet mit diesem Effekt den vermuteten Zusammenhang zwischen Händewaschen und Scham-/Schuldgefühlen. Ich meine aber den Herrn Macbeth. Er sagt in Akt 3, Szene 4:
I am in blood stepped in so far, that should I wade no more, returning were as tedious as go o’er.

Dies beschreibt das Dilemma, das man immer wieder einmal in Projekten erlebt, dass man eigentlich zu lange für den Erfolg gekämpft hat, dass man trotz aller Schwierigkeiten die Kraft zum Aufhören nicht mehr findet. Viele Projekte ernennen zu Beginn einen Projekt-Sponsor, der für das Projekt werben soll, bei Problemen helfen soll etc. Vielleicht ist es manchmal ratsam, wie es manche Autoren schon empfohlen haben, einen Advocatus Diaboli zu etablieren, der auch mal rechtzeitig die Frage stellt, ob man nicht aufhören soll. Es ist keinesfalls einfach, denn meist gibt es genug schweigende Gegner von vielen Projekten, die ihm ein frühes Ende wünschen. Vielleicht ist es aber auch nur eine andere Variante des Bergsteigerproblems? Wer überzeugt den Bergsteiger hundert Meter vor dem Gipfel, dass er umkehren soll?

Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an r.janssen@acent.de

Rainer Janßen | 27.04.2023

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