Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren
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Serie: Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Teil 3: If you can´t measure it, you can´t manage it

 

 

Das Zitat wird oft Peter Drucker zugeordnet, dem Erfinder der Managementlehre schlechthin, der in der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts die Diskussion über Management prägte. Drucker hat zwar viele Bücher geschrieben, aber dieses Zitat findet sich so nicht bei ihm. Er hat tatsächlich einmal gesagt „If you can´t measure it, you can´t improve it“. Im konkreten Fall ging es wohl darum, die Situation an einem Telefonhelpdesk zu verbessern. Und Drucker meinte mit seinem Kommentar, dass man irgendwelche Indikatoren braucht, an denen man festmachen kann, ob getroffene Maßnahmen denn auch irgendetwas bewirken und sich die Situation verbessert. Man könnte es auch so fassen: Wenn Du etwas verbessern willst, überlege Dir, woran Du merkst, dass es besser geworden ist.

Als andere mögliche Quelle wird dann noch William Edwards Deming erwähnt. Deming ist amerikanischer Statistiker und Pionier des Qualitätsmanagements und einer prozessorientierten Unternehmenssicht. Er hat ab 1950 führend zur Entwicklung des japanischen Qualitätsmanagements beigetragen und wurde in den USA erst ab den 80ern bekannt, als die amerikanische produzierende Industrie von den Japanern zertrümmert wurde. Deming hat aber das genaue Gegenteil gesagt: „It is wrong to suppose that if you can´t measure it, you can´t manage it – a costly myth!”

Aber trotz unklarer Herkunft ist dieser Spruch wohl das in Managementdiskussionen mir am häufigsten begegnete Zitat. Vielleicht kam es sogar in meinem Bereich noch öfter vor als in anderen Unternehmensbereichen, denn die IT sollte natürlich immer die Daten für all diese Messungen bereitstellen. Die Mechaniker der Unternehmensführung verwendeten diesen Spruch jedenfalls als Rechtfertigung, dass sie für alles und jedes, was sie managen sollten, eine Kenngröße oder auf Neudeutsch einen KPI (Key Performance Indicator) brauchten. Und machten den fatalen Umkehrschluss, dass ich hinfort nur noch meine KPIs in den Zielbruch bringen muss und dann ist die Welt gut. Aber KPIs sind, wie ihr Name schon sagt, eben nur Indikatoren dafür, dass etwas schon so sein könnte, wie es sollte, aber sie sind noch lange kein Nachweis, dass es wirklich so ist.

Wenn eine Software keine Fehler hat, ist das sicher schon einmal eine gute Sache, aber es heißt noch lange nicht, dass die Software gut ist. Etwas kann vollständig fehlerfrei sein, aber komplett nutzlos! Natürlich soll man sich die Fehlerstatistik anschauen, aber man sollte sich davor hüten, diese Zielgröße dann einfach als Zielvorgabe der Mitarbeiter zu nutzen und mit der Messgröße die Firma steuern.  Das hat Deming mit seinem Zitat gemeint: Wenn man einen Indikator für die Wirklichkeit nimmt und danach steuert, wird man automatisch falsch steuern, weil der Indikator nicht die Wirklichkeit ist.

Auch Kundenzufriedenheit ist nur ein Indikator, ob etwas gut ist, aber auch keine korrekte Messgröße. Bei unseren Umfragen bei den Nutzern unserer IT-Anwendungen im Unternehmen schnitt immer eine SAP-Anwendung am besten ab, mit der die Mitarbeiter Urlaub buchen konnten, die Auszahlung von Überstunden anstoßen, Weiterbildungskurse buchen etc. Das haben die Leute geliebt, auch wenn das SAP-Interface nicht unbedingt nutzerfreundlich ist. Die jährliche Planung haben die Vertriebsmitarbeiter gehasst und egal wie wir uns angestrengt haben: Kundenzufriedenheit gab es bei dieser Anwendung nie.

Eine Firma, die schon seit Jahrzehnten die Unternehmenssteuerung durch KPIs perfektioniert hat, ist die IBM. Als ich 1984 bei IBM einstieg, war der Gewinn von IBM so groß wie der Umsatz des zweitgrößten Marktteilnehmers DEC. Damals wurden für den Vertrieb alle Umsätze, seien es Hardware, Software oder Service, in eine interne Währung umgerechnet, die man Punkte nannte. Über den legendären Vertriebschef Bernhard Dorn gab es dann Ende der 80er die Anekdote, dass er seinen Fahrer angewiesen habe, bei Rot über die Kreuzung zu fahren. Er hatte gehört, dass es dafür Punkte gab! Solange das Geschäft stabil war und es nur die Mainframes gab, hat das auch gut funktioniert. Als dann aber die Innovation sich beschleunigte, hielten die KPIs alle Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsfunktionen viel zu lange bei den alten Themen, denn jeder wollte an den Themen arbeiten, wo es die dicken Punkte gab: Bei den Mainframes und den großen Speichersystemen, nicht bei PCs oder Diskettensystemen mit kleinen Margen! So verpasste IBM immer wieder die neuen Trends, selbst wenn man die Grundlagen in den Forschungslabors von IBM entwickelt hatte. Bei Paul Carrol „Big Blues – The Unmaking of IBM“ aus dem Jahre 1993 können Sie das alles nachlesen. Oder bei Clayton Christensen in „The Innovator´s Dilemma“.  

Wer das nicht Messbare nicht in seinen Betrachtungen berücksichtigt, wer neben den Zahlen nicht den Inhalt berücksichtigt, der wird niemals die Produkte finden, die den Unterschied machen, die Innovation, die die Welt verändert, weil sie nur tun, was ihre KPIs sagen. Und alle KPIs können ihnen nur sagen, was zur Zeit des Designs der KPIs schon bekannt war.  

IBM war nicht die einzige Firma, die sich durch eigentlich ordentliches Befolgen der mechanistischen Managementlehren an den Rand des Abgrunds oder darüber hinaus brachten. DEC, Compaq oder Nokia sind andere aus dem Bereich der IT-Industrie. Christensen zeigt in seinem Buch „Innovators Dilemma“ weitere Beispiele, warum diese Art des Managements insbesondere in Zeiten von Veränderungen und innovativen Umbrüchen versagt. Dies wird noch verschärft, wenn die KPIs die Ziele des Managements definieren und mit Incentives verknüpft werden. Aber dazu später mehr.  

So ein bißchen beschleicht mich ja das Gefühl, dass dieser enorme Drang nach Steuerung durch messbare Größen einem Minderwertigkeitskomplex der BWL gegenüber den Naturwissenschaften entspringt. Man will doch irgendwie „wissenschaftlich“ sein und dazu gehören nun mal Zahlen und mathematische Modelle. Denn wie hat es der britische Physiker Lord Kelvin gesagt: „When you can measure what you are speaking about and express it in numbers, you know something about it. When you cannot express it in numbers, your knowledge is of a meagre and unsatisfactory kind, it may be the beginning of knowledge, but you have scarcely in your thoughts advanced to the stage of science.”

Es ist richtig, sich Indikatoren zu suchen und diese zu verfolgen. Man sollte nur nicht dem Irrglauben erliegen, dass diese dann vollständig die Wirklichkeit abbilden und man nur noch diese managen müsste. Wer meint, nicht managen zu können, was er nicht messen kann, wird einfach sehr vieles nicht managen können, darunter die aus meiner Sicht wichtigsten Bereiche, um die sich ein Manager kümmern muss:

  1. Menschen: Man kann einen Menschen nicht durch Zeugnisnoten, Skillprofile, Fitnessdaten – oder was auch immer einem an Messgrößen in den Sinn kommen mag – charakterisieren. Und für den Erfolg sind gerade die Dinge, die ihn besonders machen, diejenigen, die ihn für das Unternehmen interessant machen, denn gerade das kann den Unterschied machen.
  2. Innovation: Wir haben es in den letzten Jahren doch immer wieder erlebt, dass Neues in die Welt kam, von dem wir nicht verstanden, warum es ein Geschäft werden sollte, wo man Geld verdienen sollte, was so viel Besseres daran war. Nokia hat wohl erst verstanden, dass das iPhone etwas Neues und nicht nur ein weiteres Handy ist, als man vor der Pleite stand. Und man kann zwar zählen, wieviel Design Thinking oder Lego-Sessions die Teams gemacht haben, aber das Heureka wird man so nicht bekommen.
  3. Qualität: Sie können Funktionalität vergleichen und technische Daten messen, Haltbarkeit und Lebensdauer, aber all das erfasst nicht, warum Menschen das eine Produkt gut finden und das andere nicht. Dies gilt umso stärker, wenn das Produkt kein anfassbares physisches Produkt ist, sondern ein digitales Konstrukt, eine Software, ein App, ein Spiel, ein Film, … Wenn Sie es einmal ganz philosophisch und grundsätzlich verstehen wollen, warum Qualität nicht messbar ist, lesen Sie das Buch von Robert Pirsig „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“ aus dem Jahre 1974. Damals ein wahres Kultbuch und ein Weltbestseller – aber in sehr ungewöhnlicher Form geschrieben. Oder schauen Sie sich die Schlussszene von „Der Club der toten Dichter“ an.

Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an r.janssen@acent.de

Rainer Janßen | 04.11.2022

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