Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Serie: Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Teil 33: Vom ehrbaren Kaufmann

Im Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18.12.1956 in seiner Form nach Änderung vom 7. August 2021 stehen in §1 die drei Kernaufgaben der IHKs: Interessenvertretung der Mitglieder, Förderung der gewerblichen Wirtschaft und „für die Wahrung von Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute, einschließlich der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung” zu wirken. Es hat mich immer wieder verwundert, dass der Gesetzgeber hier den Begriff des ehrbaren Kaufmanns verwendet. Denn die Juristen bemühen sich meist um außerordentliche Genauigkeit in ihren Formulierungen, deshalb sind ihre Texte ja manchmal so schwer zu verstehen.  

Der ehrbare Kaufmann ist zwar ein sehr altes Konzept, die Anfänge reichen ins Norditalien des 14. Jahrhunderts und wurden dann auch von der Hanse dauerhaft aufgenommen, aber es gibt doch keine wirklich feste Definition. Vor allem ist die Ehrbarkeit ein in der Zeit veränderlicher Begriff. So galt bei der Erstausgabe des oben erwähnten Gesetzes ein Schwuler sicher nicht als „ehrbar“. Heute würde ein Kaufmann oder Manager, der Menschen nicht unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung fair und gleichbehandelt, als nicht ehrbar gelten. 

Beim Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW) habe ich folgende aktuelle Interpretation gefunden: 

„Der ehrbare Kaufmann… 

  1. hört auf sein Gewissen und seine Mitarbeiter, er ist kritisch dem Zeitgeist gegenüber und orientiert sich an den bleibenden Werten. 
  1. beachtet die Menschenwürde und ist respektvoll im Umgang mit seinen Mitarbeitern. 
  1. setzt sich für den nachhaltigen Aufbau und Erhalt von Arbeitsplätzen ein. 
  1. handelt wahrheitsgemäß und lehnt unfairen Wettbewerb ab. 
  1. unterstützt das Engagement in Bezug auf Leistung, Forschung, Aus- und Weiterbildung. 
  1. setzt sich für die soziale Marktwirtschaft ein und trägt dadurch zu einem positiven Unternehmerbild in der Öffentlichkeit bei. 
  1. fühlt sich an das gesprochene Wort gebunden. Sein Wort zählt.  
  1. handelt lösungsorientiert in Konfliktfällen. Es ist sein Ziel, eine Einigung zu erzielen. 
  1. achtet das geistige und materiell Eigentum anderer. 
  1. pflegt einen konstruktiven Dialog mit anderen Unternehmen.“ 

Das Konzept finde ich in diesem Sinne immer noch sehr gut. Noch besser wäre es, wenn sich zudem jeder daran halten würde – Gewerbetreibende, Unternehmer, Kaufleute, wie auch Manager in größeren Unternehmen – und die IHKs darüber wachen würden, dass sich jeder daran hält. Und wer dies nicht tut, darf nicht mehr mitmachen! Dann müssten die Unternehmen nicht alle für sich ihre eigenen Unternehmenswerte aufschreiben und es bräuchte auch keine Compliance-Abteilungen mehr.  

Eine aus meiner Sicht hervorragende gesamtheitliche Darstellung dieses Konzepts findet man in der Abschlussarbeit von Daniel Kling an der Humbold-Universität, die immer noch im Internet verfügbar ist. Ich bin eigentlich nur mit einer Kleinigkeit nicht einverstanden. Herr Klink stellt sozusagen als Motto seiner Arbeit ein Zitat von Josef Ackermann, damals Vorstandvorsitzender der Deutschen Bank, vom 24.05.2007 voran: „Der Vorwurf, dass ich nicht ehrbar oder nicht moralisch bin, würde mich viel mehr treffen als der Vorwurf, ich hätte das Unternehmen nicht erfolgreich geführt.“  Und da möchte ich doch leise Zweifel anmelden, nicht nur wegen des Auftretens im Vodafone-Mannesmann-Prozess. Vieles an Skandalen in und mit der Deutschen Bank scheint mir doch seine Wurzeln in seiner Führungszeit zu haben und auf den von ihm geprägten Geist und auf die von ihm angestrebten Renditeerwartungen zurückzuführen sein. 

Und wenn man sich dann genauer umschaut – und mindestens die IT-Branche und die damit zusammenhängende Start-up Szene kenne ich doch recht gut – dann merkt man wie schwer es fällt, die leuchtenden Vorbilder zu finden. Sicher, ich habe viele ehrbare Kaufleute kennengelernt. Menschen, die sich an ihr gesprochenes Wort erinnerten, geistiges Eigentum respektierten, respektvoll mit Menschen umgingen usw. Aber immer wieder muss man feststellen, dass am Ende anscheinend der Erfolg alles rechtfertigt. 

Wir alle finden solches Fehlverhalten zwar nicht gut, aber wenn es erfolgreich war, wird es am Ende irgendwie akzeptiert. Das Konzept des ehrbaren Kaufmanns ist ein wertvolles, richtiges und notwendiges Konzept. Allein die Tatsache, dass man sich seit nun bald 700 Jahren damit beschäftigt, zeigt, dass es einen Bedarf für ein solches allgemein akzeptiertes Wertekonzept gibt. Wenn es gelänge, es wirklich durchzusetzen, würde es das Wirtschaftsleben erheblich erleichtern. Eine allgemeine Vertrauensbasis erleichtert die Zusammenarbeit ganz erheblich. Aber es wird nie funktionieren, wenn selbst offenkundiges Fehlverhalten nicht zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führt.  

Ein bisschen Hoffnung macht mir die #metoo Debatte. Der weitverbreitete sexuelle Missbrauch in der Kunst- und Medienbranche genauso wie der menschenverachtende Umgang mancher Kunstgötter mit ihren Mitarbeitern war ja weithin bekannt und in vielen Büchern und Filmen thematisiert. Aber jetzt ist es einigen der bekanntesten Kandidaten tatsächlich an den Kragen gegangen. Es wäre schön, wenn dies bei Einsatz von Kinderarbeit in Asien oder bei der unerträglichen Ausbeutung von Ausländern in der deutschen fleischverarbeitenden Industrie auch so wäre, wenn auch der menschenverachtende Umgang mit Mitarbeitern etc. zu solchen Ergebnissen führen würde. Es besteht noch Hoffnung.  

Aber es muss sich nicht gleich die ganze Welt ändern, bevor man anfangen kann, sich ehrbar zu verhalten. Man kann dies Prinzip erst einmal innerhalb der eigenen Organisation umsetzen, man kann bei Wahl seiner Geschäftspartner darauf achten und mit seinen Partnern partnerschaftlich umgehen. Allerdings zeigt die schon so lange anhaltende Diskussion um das Konzept des ehrbaren Kaufmanns auch, dass die Probleme nicht schnell zu lösen sind und die Hoffnung, die manche Autoren als Erwartungshaltung gegenüber der nächsten Generation formulieren – die machen alles anders und besser und digitaler – naiv ist. Das Problem scheint schließlich nach 700 Jahren und ca. 30 Generationen immer noch existent zu sein! 

Am Ende liegt es an uns Managern selbst, ob wir das in der Einleitung zu dieser Artikelserie beschriebene schlechte Image unserer Berufsgruppe achselzuckend akzeptieren, weil wir die schwarzen Schafe nicht nur dulden, sondern teilweise sogar noch glorifizieren, wenn sie Erfolg haben. Die Chancen stehen gut, denn die Transparenz wird immer größer. Das zeigen die aktuellen Fälle der ARD-Vorsitzenden und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger sowie die Berichte über Till Schweiger oder den Sternekoch Christian Jürgens. Allerdings ist in diesen Fällen der Anstoß immer von außen gekommen. Es fehlt mir immer noch die Selbstheilungsfähigkeit von Organisationen.  

Denn es fehlt meist nicht am Wissen. Da braucht man meist gar keine riesigen Compliance-Abteilungen oder Whistle-Blower-Konzepte. Wenn die Personaler vernünftige Interviews mit Kollegen führen, die die Firma verlassen, bekommen sie schon eine ganze Menge mit. Vieles ist auch mehr oder minder öffentliches Wissen in den Organisationen. So weiß das Netzwerk der Management-Assistenten und -Assistentinnen meist sehr genau, welcher Manager sich unangemessen verhält. Und ich bin überzeugt, dass man auch in den IHKs seine schwarzen Schafe ziemlich gut kennt. Aber es wird zu oft nicht entschlossen genug gehandelt. Und dies vor allem dann nicht, wenn derjenige mit den Fingern im Marmeladetopf Erfolg hat.  

Das wird am Ende des Tages der Lackmus-Test sein, ob wir es denn mit dem Konzept des ehrbaren Kaufmanns ernst meinen: Schließen wir auch den Erfolgreichen aus unserer Mannschaft aus, wenn er gegen die Regeln verstößt? Feiern wir einen Maradona für den Sieg oder verachten wir ihn, weil er – und nicht Gottes Hand – betrogen hat? Pfeifen wir Neymar aus, wenn er mal wieder den schwer Verletzten spielt, oder feiern wir ihn, wenn er so einen Elfmeter herausschindet? Dürfen verurteilte Millionenbetrüger wieder in den Aufsichtsrat ihres Unternehmens? Vergessen wir bei Managern, die ein Unternehmen zum Erfolg geführt haben, dass sie nahezu jede Regel für den respektvollen Umgang mit Mitarbeitern verletzt haben? Glauben wir all den hochrangigen Managern, die von den illegalen Vorgängen in ihren Organisationen von Cum-Ex über Bestechung bis Dieselskandal nichts gewusst haben und lassen sie weiter im Amt? Es reicht nicht, das Konzept des ehrbaren Kaufmanns auf Festveranstaltungen zu preisen. Man muss sich im alltäglichen Leben daran halten und darf nicht zulassen, dass der Erfolg alle Mittel heiligt.  

Kennen Sie das Ende des Märchens von Christian Andersen „Des Kaisers neue Kleider“? Wirklich? Es geht so:  

„Er hat ja nichts an!“ rief zuletzt das ganze Volk. Und das kroch in den Kaiser, denn ihm schien, sie hätten recht, aber er dachte: Jetzt muss ich während der Prozession durchhalten. Und dann hielt er sich noch stolzer, und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war. 

Und die Moral von der Geschichte? Und was das mit unserem Problem mit dem ehrbaren Kaufmann zu tun hat? Das dürfen Sie sich jetzt selbst ausdenken!         

Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an r.janssen@acent.de

Rainer Janßen | 14.07.2023

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